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Geltungszeitraum von: 01.01.2000

Geltungszeitraum bis: 31.03.2016

Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union1#

Vom 5. Juni 1999 (ABl. EKD S. 403) durch Beschluss der Evangelischen Kirche der Union
vom 1. Dezember 1999

(KABl.-EKiBB 2000 S. 12)
für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg zum 1. Januar 2000 in Kraft gesetzt.

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Einführung

Diese Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union (EKU) tritt an die Stelle der bisherigen Ordnung aus dem Jahr 1955. Die Neuformulierung wurde 1993 von der Synode in Auftrag gegeben in der Einsicht, dass die alte Lebensordnung den veränderten Bedingungen in den Gliedkirchen nicht mehr gerecht wird.
Viele Fragen stellen sich heute anders als vor Jahrzehnten. Die Herausforderungen haben sich geändert. In einer Zeit, in der sich der früher gegebene Zusammenhang zwischen Kirche und Gesellschaft gelockert oder aufgelöst hat, ist das Angebot einer verständlichen Ordnung des kirchlichen Lebens umso wichtiger. In einer missionarischen Situation muss auch die Lebensordnung einladend sein.
Aus vielfältigen Anlässen kommen Menschen mit dem kirchlichen Leben in Berührung. Sie bringen ihre persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen mit. Sie hoffen auf Orientierung und Hilfe. 10 Sie fragen zum Beispiel, ob der Vater, der aus der Kirche ausgetreten war, kirchlich bestattet werden kann. 11 Sie wollen wissen, ob eine kirchliche Trauung zwischen einer Muslimin und einem Christen möglich ist. 12 Sie sind verwundert oder verärgert darüber, dass der vorgesehene Pate nicht zum Patenamt zugelassen werden kann.
13 In solchen Situationen will die Ordnung des kirchlichen Lebens zu einem abgestimmten und verbindlichen Handeln der Kirche beitragen. 14 Sie ist für diejenigen bestimmt, die in Kirchengemeinden und anderen kirchlichen Körperschaften und Einrichtungen Verantwortung tragen und Auskunft geben müssen. 15 Kirchliche Leitungsgremien brauchen Perspektiven, die einen Entscheidungsrahmen geben und zugleich Handlungsspielräume eröffnen.
16 Nach einer vorangestellten konzeptionellen Grundlegung wird in den einzelnen Kapiteln der Ordnung zuerst die Situation skizziert, auf die hin entschieden werden soll. 17 Dabei kommen auch Unterschiede zur Sprache, die nicht nur zwischen den neuen und alten Bundesländern, sondern auch regional in einer Gliedkirche bestehen können. 18 In einem zweiten Schritt, der biblisch-theologischen Orientierung, werden wichtige Stellen der Heiligen Schrift und der Lehrtradition unserer Kirche zusammengestellt und daraus theologische Grundaussagen gewonnen. 19 Im dritten Schritt werden verbindliche Richtlinien und Regelungen formuliert, die Lehre und Leben der Kirche in Beziehung setzen. 20 Dabei ist der konkreten Seelsorge jeweils ein bestimmter Ermessensspielraum eingeräumt.
21 Die Ordnung des kirchlichen Lebens der EKU ist den in den Gliedkirchen geltenden reformatorischen Bekenntnissen verpflichtet und orientiert sich an der Theologischen Erklärung von Barmen. 22 Sie berücksichtigt aber auch die enger werdende Zusammenarbeit der Kirchen und möchte in einem ökumenischen Geist praktiziert werden. 23 Wie alle kirchliche Praxis muss sich die Ordnung des kirchlichen Lebens daran messen lassen, wie sie der Einheit der Kirche auch unter den Bedingungen des Getrenntseins Ausdruck gibt.
24 „Mit der Kirche leben“ – so war der Entwurf einer Ordnung des kirchlichen Lebens in den Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) überschrieben. 25 Auch wenn dieser Entwurf durch die Auflösung des Bundes nicht weiter bearbeitet werden konnte, so stellt er doch für die vorliegende Ordnung eine wichtige Vorarbeit dar. 26 In ähnlicher Weise wurden auch die Musterlebensordnungen der Arnoldshainer Konferenz (AKf) rezipiert. 27 Mit der entsprechenden Kommission der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) bestand ein enger Arbeitskontakt. 28 Es ist zu hoffen, dass die neue Ordnung des kirchlichen Lebens der EKU auch die Gemeinsamkeit der evangelischen Christenheit in Deutschland stärkt.
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Grundlegung:
Der Auftrag der Kirche und die Ordnung des kirchlichen Lebens

Was ist der Auftrag der Kirche und was gilt in ihr? Welche Leitlinien sind für das kirchliche Handeln wichtig und welche Gestalt soll die Kirche haben? Was trägt der christliche Glaube zur Verantwortung im Alltag und Beruf, in Staat und Gesellschaft bei?
Solche Fragen entstehen aus der Situation, in der die Kirche heute lebt. Sie führen zu einem neuen Hören auf die Bibel. Antworten, die daraus erwachsen, werden zu hilfreichen Ordnungen führen.
I. Die Kirche und ihr Auftrag
Die Kirche ist die Stiftung Jesu Christi, das Werk des menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Sohnes Gottes. Sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung sind der bleibende Grund der Kirche (1. Kor 3,11). Jesus Christus trägt und erhält die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes bis zum Ende der Welt (Mt 28,20). Im Augsburger Bekenntnis von 1530 heißt es: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“ (Art. VII). Der Heidelberger Katechismus formuliert 1563: Ich glaube, „dass der Sohn Gottes aus dem ganzen menschlichen Geschlecht sich eine auserwählte Gemeinde zum ewigen Leben durch seinen Geist und sein Wort, in Einigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende versammle, schütze und erhalte, und dass ich in dieser ein lebendiges Glied bin und ewig bleiben werde“ (Frage 54).
Durch die Verkündigung dringt Gottes Geist ins Herz des Menschen und weckt Glauben. In der Pfingstgeschichte heißt es nach der Predigt des Petrus: „Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Geistes“ (Apg 2,37 f.). So ist es auch heute: Die Kirche hat den missionarischen Auftrag, die Versöhnungstat Gottes, wie sie in Jesus Christus offenbar geworden ist, der ganzen Welt zu bezeugen (2. Kor 5,19 f.).
Im Neuen Testament wird das Wesen der Kirche mit verschiedenen Bildern beschrieben. 10 Jedes Bild eröffnet jeweils eine bestimmte Perspektive. 11 Die Vielzahl solcher Bilder bringt die Fülle der Beziehungen zwischen Jesus Christus und seiner Kirche zum Ausdruck.
12 Die Kirche ist zum Beispiel die Herde, die von Jesus Christus als dem guten Hirten geleitet wird (Joh 10,1–16). 13 Sie ist das Haus Gottes, das auf dem Fundament der Apostel und Propheten errichtet ist (Eph 2,20 f., 1. Petr 2,5). 14 Im Hebräerbrief wird der Gemeinde das Bild des durch die Wüste wandernden Israel vor Augen gestellt: Die Kirche ist das Volk Gottes, das unterwegs zu seiner endzeitlichen Ruhe (Hebr 4,9–11) ist.
15 Von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Kirche ist das Bild des Leibes Christi. 16 Haupt des Leibes ist Jesus Christus, von dem der ganze Leib seinen Aufbau und sein Wachstum erfährt (Eph 4,15 f., Kol 1,18). 17 Dieses Bild veranschaulicht, dass nicht das Zusammenleben der Christen als solches die Kirche konstituiert, sondern die Existenz der Kirche von der lebendigen Verbindung zu Jesus Christus abhängt. 18 Er ist der Lebensgrund seiner Kirche, ist „das eine Wort Gottes, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“ (Barmer Theologische Erklärung, 1934, 1. These). 19 Paulus hat das Bild des Leibes verwandt, um die Verschiedenheit von Erkenntnissen, Gaben und Fähigkeiten der einzelnen Christen auf die christusgemäße Einheit zu beziehen (Röm 12,4–8; 1. Kor 12,12–31). 20 Im Leib Christi sind alle Erkenntnisse, Gaben und Fähigkeiten der Christen zusammengefügt und im gemeinsamen Dienst verbunden. 21 „Das biblische Bild des Leibes drückt aus, wie die Kirche lebt und worin sie Bestand hat. Kirche ist die Gemeinschaft von Gliedern, deren Einheit untereinander in der Einheit mit Christus begründet ist. Die Gemeinschaft der Glieder lebt darin, dass alle gleichberechtigt gemäß der Verschiedenheit der ihnen von Gott verliehenen Gaben dem Aufbau der Gemeinde dienen“ (Die Kirche Jesu Christi, Lehrdokument der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 1994).
22 Es entspricht sachlich dem Bild des einen Leibes, wenn im Neuen Testament dasselbe Wort (ekklesia) für die Gemeinde an einem bestimmten Ort und für die Gemeinden an anderen Orten, für die Partikularkirche und für die Gesamtkirche verwendet wird. 23 In Jesus Christus ist jede Gemeinde und jede Kirche mit jeder anderen Gemeinde und Kirche eins. 24 Die eine Kirche Jesu Christi stellt sich in Geschichte und Gegenwart als eine Vielzahl von Kirchen dar, die sich in der Ausformung ihres Glaubens und ihrer Ordnung voneinander unterscheiden. 25 Die schon im Neuen Testament zu beobachtende Vielfalt ist als Bereicherung zu verstehen, weil sie die Zusammengehörigkeit in der einen Kirche Jesu Christi nicht in Frage stellt. 26 Anders ist es mit Spaltungen und Trennungen, die die Einheit der Kirche gefährden. 27 Sie stehen im Widerspruch zu dem hohenpriesterlichen Gebet Jesu, dass die Glaubenden „alle eins seien“ (Joh 17,21), und bleiben eine Not. 28 Alle Kirchen stehen deshalb vor der Aufgabe, auf eine Gemeinschaft des Zeugnisses und Dienstes hinzuarbeiten, die die Trennungen und Spaltungen überwindet.
29 Die Kirche ist nicht für sich selbst da. 30 Ihre Institution ist kein Selbstzweck. 31 In den Bildern, die Jesus in der Bergpredigt verwendet, ist die Kirche Salz der Erde, Licht der Welt und Stadt auf dem Berge (Mt 5,13–16). 32 Die Bilder besagen: Das Leben der Christen soll als Zeugnis des Glaubens in die Welt hineinwirken und ausstrahlen. 33 Die Kirche muss sich daraufhin befragen lassen, wieweit sie das christliche Zeugnis von der Liebe Gottes zu allen Menschen zum Ausdruck bringt. 34 Sie trägt Verantwortung für die Welt und darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen. 35 Der Dienst an der Welt gehört zu den unaufgebbaren Lebensfunktionen der Kirche.
36 Im Glaubensbekenntnis wird die Kirche als die Gemeinschaft der Heiligen bezeichnet. 37 Viele verstehen unter Heiligen fehlerlose, moralisch einwandfreie Menschen. 38 Nach der Bibel sind Menschen jedoch heilig auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu Gott, der sie geheiligt hat. 39 So formuliert der Heidelberger Katechismus in Frage 55: „Was verstehst du unter der Gemeinschaft der Heiligen? Erstens, dass alle Gläubigen gemeinsam und jeder für sich als Glieder an dem Herrn Christus und allen seinen Schätzen und Gaben Gemeinschaft haben. Zum andern, dass ein jeder seine Gaben zum Nutzen und Heil der anderen Glieder willig und mit Freuden anzulegen sich schuldig wissen soll.“ 40 Heilige fragen nach Gottes Willen und lassen diesen Willen – wie in der dritten Bitte des Vaterunsers – geschehen. 41 In diesem Sinne wendet sich auch der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth als „an die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen samt allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen“ (1. Kor 1,2). 42 Die Kirche ist keine untadelige Gemeinschaft, wohl aber eine Gemeinschaft von Menschen, die nach Gottes Willen leben wollen, vor ihm Schuld und Sünde bekennen und sich von ihm angenommen wissen. 43 Als Gemeinschaft der Heiligen legt die Kirche vor der Welt Zeugnis ab von der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes. 44 Sie sucht Gemeinschaft mit denen, die Lasten tragen, Unrecht leiden und Trost, Zuspruch und Hilfe brauchen.
45 Befreiend ist die Unterscheidung zwischen der geglaubten und der sichtbaren Kirche. 46 Vieles an der sichtbaren Kirche ist zeitgebunden und unterliegt der Veränderung. 47 Dennoch ist auch die sichtbare Kirche, mag sie noch so fragwürdig sein, als Gottes Werk zu verstehen, insofern in ihr das Evangelium rein verkündigt und die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß gefeiert werden. 48 Das sind nach reformatorischem Verständnis die Kennzeichen von Einheit der heiligen, christlichen Kirche, die allezeit sein und bleiben muss. 49 Zugleich sind sie Kriterien, ob eine bestimmte erfahrbare Kirche die wahre Kirche Jesu Christi ist.
50 Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Reformation ist die Wiederentdeckung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen. 51 Diese Erkenntnis beruft sich auf die Bibel. 52 Schon im Alten Testament finden sich Aussagen über das Priestertum des ganzen Volkes Gottes (Ex 19,6). 53 Der 1. Petrusbrief überträgt diese Bezeichnung auf die Gemeinde des Neuen Bundes (1. Petr 2,9). 54 Die Lehre vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen besagt, dass es vor Gott nur einen geistlichen Stand gibt. 55 Jeder Christ ist mit seinen Gaben Priester oder Priesterin, kann das Wort Gottes verstehen, die Bibel auslegen und selbst vor Gott treten in Bitte und Fürbitte, in Glaubens- und Gewissensentscheidungen, im Dienst an der Welt und in tätiger Nachfolge. 56 In der Reformationszeit wird die Lehre vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen zur Neuorientierung für ein Leben als mündige Christen in Kirche und Welt. 57 Darum geht es auch heute.
58 Zum Wesen der Kirche gehört die Praxis des Glaubens (Röm 1,16 f.; 10,14–18; Gal 5,6). 59 Christsein ohne persönliche Glaubenspraxis ist nicht denkbar. 60 Zur Glaubenspraxis gehören das Hören auf Gottes Wort, die Beschäftigung mit biblischen Texten, das Lob Gottes, das Gespräch mit Gott im Gebet, die Selbstprüfung und Vergewisserung des eigenen Glaubens im Gespräch mit anderen, das persönliche Bekenntnis und Zeugnis in der Öffentlichkeit. 61 Das geistliche Leben im Glauben verbindet sich mit der Erfahrung der Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern und ist auf diese Gemeinschaft ausgerichtet. 62 Denn Jesus Christus spricht: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20).
63 Die institutionelle und organisatorische Gestalt der Kirche ist wandelbar. 64 Sie ist aber nicht beliebig. 65 Die Kirche hat auch durch ihre Ordnungen im Blick auf Jesus Christus zu bezeugen, „dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte“ (Barmer Theologische Erklärung, 1934, 3. These).
II. Herausforderungen
Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Uns begegnet eine Vielzahl von Welt- und Lebensdeutungen. Weder die Kirche als Institution noch der christliche Glaube als Lebenshaltung besitzen heute noch eine Monopolstellung. Vielen Menschen ist die Kirche fremd geworden. Auf Grund unterschiedlicher Entwicklungen ist sie den einen – insbesondere im Westen Deutschlands – noch eine „fremde Heimat“. Anderen – vor allem im Osten, wo die Menschen bereits in der zweiten und dritten Generation mehrheitlich nicht mehr getauft sind – ist sie eine fremde Größe, zu der eine innere Beziehung fehlt.
Pluralität und Säkularisierung sind Kennzeichen unserer Zeit. Ihre Wurzeln reichen in die Geschichte der Kirche zurück. Aus dem Ringen um Glaubens- und Gewissensfreiheit ist die freiheitliche Demokratie mit ihrer Bejahung und Förderung unterschiedlicher Überzeugungen und Lebensstile erwachsen.
10 Unsere Lebensformen sind so differenziert und die Einflüsse auf den Einzelnen durch die modernen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten so vielfältig, dass es keinen Weg zurück zu einem alle Mitglieder einer Gesellschaft umgreifenden Sinn- und Deutungssystem gibt.
11 Auch in einer offenen Gesellschaft, in der Kirchenzugehörigkeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist, suchen die Menschen weiter Vergewisserung, Sinnstiftung und Gemeinschaft. 12 Allerdings erwarten viele hierzu die Hilfe nicht mehr von den Kirchen. 13 Sie orientieren sich an den vielfältigen Angeboten weltanschaulicher, religiöser oder esoterischer Strömungen oder einfach an Medien und Werbung.
14 In den Auseinandersetzungen mit den vielfältigen Angeboten unserer Zeit hat der christliche Glaube die Chance, sich neu zu entfalten und seine Kraft zu beweisen. 15 Die offene Gesellschaft bietet Gelegenheit, wieder zu entdecken, dass Glauben Entscheidung bedeutet und nicht selbstverständlich ist.
16 Der Glaube gewährt Rückhalt in Krisen- und Wechselfällen des Lebens. 17 In der Vergewisserung der Menschen in entscheidenden Situationen und an Übergängen des Lebens durch biblische Texte, Geschichten und Bekenntnisse, durch Liturgie, Riten und Seelsorge liegt eine wichtige Kompetenz der Kirche. 18 Besondere Bedeutung gewinnen die kirchlichen Amtshandlungen. 19 Hier erfahren Menschen, dass die Kirche auf sie zugeht und das Evangelium ein Angebot für ihr Leben sein kann.
20 Im Vertrauen auf Gott hilft der Glaube zum Eingestehen von Schuld und zur Einsicht in die Brüchigkeit des Lebens. 21 Damit trägt er zur Herausbildung eines wirklichkeitsgerechten Selbst- und Weltverständnisses bei, das Brüchen und Schuldverstrickungen standhält, handlungsleitende Maßstäbe und Werte vermittelt und die Weltverantwortung stärkt.
22 Eine offene und gewinnende Kirche ist darum in unserer Zeit besonders nötig. 23 Die Gemeinde wird dabei zu lernen haben: „Wo Gemeinden bereit sind, sich zu öffnen, sich auf Außenwahrnehmungen einzulassen und auf das Interesse der Außenstehenden zu sehen, da werden sie auch damit rechnen müssen, dass diese ihre Einsichten und Lebenserfahrungen wie ihre Erwartungen an die Kirche mitbringen. Sie werden darin nicht ohne weiteres konform gehen mit dem, was in der Kirche gilt. Von den Gemeinden erfordert das Lernbereitschaft und den Respekt vor der Überzeugung anderer, wie auch die Fähigkeit zur Kommunikation und zum Dialog. Daran wird sich zeigen, ob ‚Kirche für andere‘ auch zur ‚Kirche mit anderen‘ fähig ist, oder ob sie ihre Grenzen an ihrer eigenen Selbstgenügsamkeit hat“ (Kirche mit Hoffnung, Leitlinien künftiger kirchlicher Arbeit in Ostdeutschland, 1998). 24 Vor dem Hintergrund der Fragen und Erfahrungen der anderen kann sich die biblische Botschaft neu erschließen und entfalten.
25 Neben den Herausforderungen, die sich aus der veränderten Haltung der Menschen gegenüber der Kirche ergeben, stehen die Herausforderungen, die auf die Wahrnehmung der christlichen Verantwortung in der Gesellschaft zielen. 26 Hierzu gehört insbesondere die Mitgestaltung der freiheitlichen Demokratie, in der wir leben.
27 Aus der biblischen Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen leiten sich Gleichheit und die Forderung nach politischer und sozialer Gerechtigkeit her. 28 Die Gewaltenteilung und die zeitliche Befristung der politischen Machtausübung entsprechen der nüchternen biblischen Sicht von der Neigung des Menschen zum Machtmissbrauch und verhindern so einen zeitlich wie inhaltlich unbegrenzten Machtanspruch.
29 Weil die demokratische Gesellschaft sowohl eines tragenden Grundkonsenses wie auch der offenen Auseinandersetzung strittiger Fragen bedarf, müssen die Christen und die Kirche zu beidem einen Beitrag leisten. 30 Die Kirche kann dabei den Einzelnen nicht ihre Entscheidungen abnehmen; sie wird jedoch zur Urteilsbildung beitragen. 31 Vor allem in den großen Entscheidungsfragen der Gesellschaft soll sie möglichst klare und eindeutige Orientierung geben.
32 Auch für die Integration innerhalb Europas wird von den Kirchen ein Beitrag erwartet. 33 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat dazu 1994 in der „Erklärung zur Europäischen Einigung“ festgestellt: „Der christliche Glaube ist für die künftige Entwicklung in Europa von entscheidender Bedeutung. Europa und das Christentum gehören seit langem zusammen. Das Christentum ist eine wichtige Quelle, aus der Europa lebt. Gewissens- und Religionsfreiheit sind für den christlichen Glauben unaufgebbare Menschenrechte. Für die christlichen Kirchen in Europa geht es darum, sich aufgrund ihrer geschichtlichen Verantwortung den gegenwärtigen Herausforderungen zu stellen, das gute Erbe christlichen Glaubens in Europa weiterzugeben und im Gehorsam gegenüber dem Evangelium ihren Beitrag für die Einheit dieses Kontinents zu leisten.“ 34 Gerade der Protestantismus kann für die Einheit Europas von Bedeutung sein, weil er eine Einheit verkörpert, die Verschiedenheit voraussetzt und auf einen ständigen Erneuerungsprozess ausgerichtet ist.
35 Die Herausforderungen machen die vielschichtigen Beziehungen von Kirche und Gesellschaft deutlich. 36 Sie bestätigen den bleibenden Auftrag der Kirche, „an Christi statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theologische Erklärung, 6. These).
37 Angesichts der vielen Herausforderungen erhebt sich allerdings die Frage, ob die Kirche ihren Auftrag überzeugend ausrichten kann, wenn sie selbst gespalten ist. 38 Das glaubwürdige Zeugnis fordert keine uniforme Kirche, aber als getrennte und gespaltene Kirche die pluralistische Welt anzureden, stellt das christliche Zeugnis in Frage.
39 Die Fragen nach dem rechten Verständnis des Wortes Gottes und nach dem Heil des Menschen haben im 16. Jahrhundert zur Trennung der abendländischen Kirche geführt. 40 Durch die Reformation wurde die Botschaft der Bibel neu zum Leuchten gebracht. 41 Gleichzeitig aber haben Spaltungen und Glaubenskämpfe die Botschaft verdunkelt und entstellt.
42 Mit der ökumenischen Bewegung ist im 20. Jahrhundert ein Aufbruch zur Gemeinschaft zwischen den Kirchen erfolgt, aber längst noch nicht vollendet. 43 Vor allem darf es sich dabei nicht nur um eine Zusammenführung verschiedener kirchlicher Formen und Entwicklungen handeln. 44 Je weniger die Kirchen um das ringen, was sie sind, und je mehr sie auf das achten, wovon sie leben, umso deutlicher werden sie ihre Gemeinschaft entdecken und zugleich die ihnen aufgetragene Botschaft weitergeben. 45 Nur die sich selbst als Wort und im Wort zu Gehör bringende Wahrheit vermag die Einheit der Kirche zu stiften: Jesus Christus.
46 Für reformatorische Kirchen gehören das Leben aus der Gnade, die Verkündigung der Versöhnung an alle Menschen und das Bemühen um eine erfahrbare Gemeinschaft der Kirchen unlösbar zusammen. 47 Denn die eigentlichen Herausforderungen der Kirche kommen nicht von außen, sondern von innen. 48 Sie spiegeln sich in den Grundaussagen der Reformation wider: Christus allein – allein aus Gnade – allein durch das Wort – allein durch den Glauben.
III. Die Ordnung des kirchlichen Lebens
Die Ordnung des kirchlichen Lebens muss vom Auftrag der Kirche geprägt sein. Jede Gemeinschaft bedarf institutioneller Formen, um lebensfähig zu sein. Nach evangelischem Verständnis ist jede Ordnung des kirchlichen Lebens Richtlinie und Angebot. Sie regelt Befugnisse, Rechte und Aufgaben und setzt Grenzen. Damit ist sie den gemeindeleitenden Gremien Richtschnur für ihre Entscheidungen. Eine gemeinsame Ordnung stärkt die Verbundenheit der Gemeinden. Sie weist den Mitgliedern der Kirche einen Weg, ihr Leben im Vertrauen auf Gott zu führen und sich in der Gemeinschaft der Liebe und des Dienstes zu bewähren. Sie hat aber auch die Menschen im Blick, die erst auf dem Weg zum Glauben und zur Gemeinde sind, und will ihnen Zugänge eröffnen.
Christen feiern in doppelter Weise Gottesdienst (leiturgia). 10 Sie versammeln sich um die Verkündigung des Evangeliums und zur Feier der Sakramente. 11 Die gottesdienstliche Versammlung hat eine grundlegende und tragende Bedeutung. 12 In ihr vergewissert sich die Gemeinde ihrer Berufung und ihres Auftrags. 13 Zugleich ist das ganze Leben des Christen Gottesdienst als Antwort auf Gottes Barmherzigkeit. 14 So verbindet sich mit der Verkündigung und dem Hören des Evangeliums der Auftrag zum Lebenszeugnis der Christen. 15 Die Ordnung der Kirche wird der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde ihren zentralen Platz einräumen und dabei das vielfältige Lebenszeugnis im Alltag der Welt im Blick haben müssen.
16 Das Evangelium von Jesus Christus ist eine Botschaft, die sich an alle Menschen richtet. 17 Die Christen haben den Auftrag, das Evangelium weiterzugeben und sich auch öffentlich zum Evangelium zu bekennen (martyria). 18 Die überkommenen Aussagen des christlichen Bekenntnisses müssen so weitergegeben werden, dass die Menschen die Wahrheit der Christusbotschaft erkennen und annehmen sowie Maßstäbe für die Gestaltung des Glaubens in der Welt gewinnen, ohne vorschnell vereinnahmt zu werden. 19 Die Betonung des allgemeinen Priestertums verpflichtet die evangelische Kirche, die Mitverantwortung der Gemeinde und der einzelnen Christen für die Weitergabe des Evangeliums herauszustellen und durch geeignete Ordnungen zu unterstützen.
20 Diakonie ist Lebens- und Wesensäußerung der Kirche (diakonia). 21 Diakonische Initiativen von Einzelnen und Gruppen, aber auch das soziale Engagement der Kirche und ihrer Diakonischen Werke sind aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. 22 Angesichts der zunehmenden Professionalisierung in der Wahrnehmung diakonischer Verantwortung wird die kirchliche Ordnung darauf achten müssen, dass der Bezug zur Gemeinde nicht verloren geht. 23 Ähnliches gilt für die Wahrnehmung des Dienstes an Staat und Gesellschaft, in Schule und Wissenschaft sowie in den Medien.
24 Die Kirche ist die Gemeinschaft der Glaubenden (koinonia). 25 In ihr glauben Menschen in der Kraft des Heiligen Geistes an Jesus Christus und sind durch Gottes Gnade gerechtfertigt. 26 Sie bilden eine versöhnte Gemeinschaft und wissen sich gesandt, in der von Gott entfremdeten Welt für Versöhnung einzutreten. 27 Auch wenn es sich bei der Gemeinschaft der Glaubenden um eine Eigenschaft der verborgenen und geglaubten Kirche handelt, muss die Kirche ihre sichtbaren und institutionellen Erscheinungsformen so gestalten, dass sie der Versöhnung Raum geben, Gemeinschaft erfahren lassen und zur Versöhnung unter den Menschen und Völkern beitragen.
28 Eine evangelische Ordnung kann und soll nicht alle Einzelheiten regeln. 29 Dazu sind die persönliche Lebensverantwortung und die christliche Mitverantwortung in der Gesellschaft zu umfassend und zu differenziert. 30 Diese Verantwortung muss in Freiheit situationsgerecht wahrgenommen werden: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Gal 5,1). 31 Eine Ordnung des kirchlichen Lebens kann jedoch angesichts der Vielfalt der Situationen den Reichtum und die Kraft christlicher Lebensformen zur Geltung bringen. 32 Auf diese Weise trägt sie dazu bei, dass evangelische Christen in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft erkennbar bleiben.
33 Eine Ordnung des kirchlichen Lebens ist keine zeitlose Größe. 34 Sie steht jeweils in einem geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang. 35 Dieser Zusammenhang verändert sich gerade in unserer Zeit sehr schnell. 36 Will die Ordnung dem Rechnung tragen, darf sie nicht der Erhaltung überholter Strukturen dienen. 37 Sie muss die Veränderungen aufnehmen, die sich in Kirche und Welt ergeben. 38 Die Ordnung des kirchlichen Lebens muss sich daran messen lassen, ob sie den Menschen unserer Gegenwart Hilfe für ein aus dem Glauben verantwortetes Leben bietet. 39 Das geschieht im Respekt vor anderen Überzeugungen. 40 Die Kirche möchte niemanden gegen die eigene Überzeugung oder mit unlauteren Mitteln zum Mitglied der Kirche machen.
41 Alle Ordnungen des kirchlichen Lebens haben dienenden Charakter. 42 Sie müssen auf neue Herausforderungen hin überprüfbar sein. 43 Es wird auch in Zukunft immer wieder Anlässe geben, die Ordnung des kirchlichen Lebens zu verändern. 44 Wie jede andere Ordnung der Kirche ist auch eine Ordnung des kirchlichen Lebens stets vorläufig und fragmentarisch. 45 Die Frage nach der angemessenen Ordnung des Gemeinschaftslebens der Kirche entscheidet sich jeweils neu an der Auslegung des biblischen Auftrags.
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Leitlinien kirchlichen Lebens:

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1.
Gottesdienst

I. Wahrnehmung der Situation
An allen Sonntagen und kirchlichen Feiertagen werden öffentlich Gottesdienste gefeiert, zu besonderen Anlässen auch an Werktagen. Der Gottesdienst führt Menschen zum Hören auf Gottes Wort, zum Gebet und zur Feier von Taufe und Abendmahl zusammen. Die Stetigkeit des Sonntagsgottesdienstes verbindet die Gemeinde mit der weltweiten Kirche und stellt sie in die Tradition und Gemeinschaft der Kirche aller Zeiten.
Darüber hinaus hat der Sonntag als Ruhetag in unserer Gesellschaft ein eigenes Gewicht. Wesentliche Merkmale unserer kulturellen Identität verbinden sich mit dem Sonntag. Es kann aber nicht übersehen werden, dass der Wandel der Arbeitswelt und verändertes Freizeitverhalten, Vereinswesen und Sport sowie der Einfluss der Massenmedien bedeutsame Änderungen in der Einstellung zum Sonntag und zum sonntäglichen Gottesdienst mit sich gebracht haben. Mit Sorgen beobachten die Gemeinden, dass die zunehmende Sonntagsarbeit die Teilnahme am Gottesdienst und die Gestaltung des Sonntags als Ruhetag erschwert hat. Hinzu kommt, dass die Interessen und Erwartungen, die sich mit dem Sonntag verbinden, bei Familien und Einzelpersonen wie auch bei jüngeren und älteren Menschen sehr unterschiedlich sind.
Vielen Gemeindegliedern ist der Sonntagsgottesdienst wichtig für ihr Leben. 10 Andere besuchen den Gottesdienst am Sonntag nur selten, nehmen aber am Gemeindeleben in anderer Weise teil. 11 Für distanzierte Kirchenmitglieder hat der sonntägliche Gottesdienst aber keine erkennbare Bedeutung.
12 Außer zum Sonntagsgottesdienst finden sich Christen in unterschiedlichen Lebenssituationen zu Dank und Fürbitte, zu Lob und Klage und der Bitte um Gottes Segen ein. 13 Solche Lebensstationen sind: Geburt eines Kindes, Eheschließung und Jubiläen, Tod und Trauer, Beginn oder Ende eines Berufsabschnitts oder eines Schuljahres. 14 Auch aus Anlass besonderer Ereignisse, im Erschrecken über drohende Gefahren und Nöte, zum Danken und Feiern kommen Christen zum Gottesdienst zusammen. 15 Gemeinsame Andachten zu Beginn und Abschluss des Tages und der Woche gehören ebenso zum gottesdienstlichen Leben der Gemeinde wie Gebetsversammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
16 Gottesdienste für Jung und Alt („Familiengottesdienste“) sind selbstverständlich geworden, und auf vielfältige Weise werden Kinder in die Feier des Gottesdienstes einbezogen. 17 Viele Gemeinden laden zu Kindergottesdiensten ein. 18 Bewährt haben sich überdies Gottesdienst- und Predigtvorbereitungskreise. 19 Ihnen korrespondiert das Predigtnachgespräch, das oft auch in einen „Kirchenkaffee“ einmündet.
20 Ökumenische Begegnungen haben den Gottesdienst bereichert. 21 Vielerorts feiern auch Christen verschiedener Konfession zu bestimmten Anlässen gemeinsame Gottesdienste. 22 Für römisch-katholische Christen stellt sich bei ökumenischen Gottesdiensten am Sonntag das Problem, dass sie an Sonntagen und „gebotenen“ kirchlichen Feiertagen zur Teilnahme an einer katholischen Messe verpflichtet sind.
23 Seit einigen Jahrzehnten wird die Gottesdienstpraxis in der evangelischen Kirche auch durch die Aufnahme feministisch-liturgischer Anliegen geprägt. 24 Ein starkes Bemühen gilt der Aufgabe, in der Sprache, den Lesungen und Gebeten Frauen „sichtbar“ werden zu lassen. 25 Der liturgische Tanz wird wieder entdeckt. 26 Neue Rituale werden entwickelt. 27 Daneben wird Wert auf Anschaulichkeit und Symbole (Kerzen, Tücher, Blumen) gelegt.
28 Zunehmend wird durch Gottesdienste an Urlaubs- und Erholungsorten Gemeinde gesammelt. 29 Bei Gottesdiensten auf Kirchentagen und anderen Großveranstaltungen werden Menschen in einer sonst nicht zu beobachtenden Zahl zusammengeführt. 30 Die Gottesdienstgestaltung bei diesen Anlässen ist durch eine erstaunliche Fülle und Weite geprägt. 31 Die Kirchen nutzen auch die Chance, durch Gottesdienste in Hörfunk und Fernsehen viele Menschen anzusprechen.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Schwestern und Brüdern, „in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt“ (Barmer Theologische Erklärung, 3. These). Die Gemeinde versammelt sich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zum Gottesdienst und lädt dazu ein. Sie hört auf Gottes Wort, feiert die Sakramente und antwortet mit Gebet, Lobgesang und Dankopfer. Sie empfängt Gottes Segen und lässt sich in die Welt senden. Durch die Versammlung unter Gottes Wort soll das ganze Leben der Christen zum Gottesdienst werden (Röm 12,1 f.). Deshalb ist der Gottesdienst die Mitte des Lebens der Kirche. Im Gottesdienst erleben sich Menschen als Empfangende und entdecken Gott als Gebenden. Dabei lernen sie zugleich die Welt als seine Schöpfung und sich selbst als seine Kinder verstehen.
Weil Jesus Christus der versammelten Gemeinde seine Gegenwart verheißen hat (Mt 18,20), wird im Gottesdienst sein Zuspruch und Anspruch auf das ganze menschliche Leben kundgetan.
10 Der Gottesdienst führt heraus aus der Abkehr und Entfremdung von Gott und voneinander und stiftet so Glauben und neue Gemeinschaft. 11 Zeichen und Siegel dieser Verbundenheit mit Jesus Christus sind Taufe und Abendmahl (Mt 28,18–20; 1. Kor 11,23–26). 12 In der Kraft des Heiligen Geistes werden Menschen frei dazu, ihre Sünden zu bekennen, und fähig zu neuem Leben in seiner Nachfolge (Apg 2,37 f.).
13 Die im Gottesdienst Versammelten feiern mit in der Gemeinschaft des Leibes Christi (1. Kor 10,16 f.) und wirken in guter Ordnung (1. Kor 14) und Dienstbereitschaft zusammen (1. Kor 12,4–6). 14 Dabei sind sie offen für solche, die zu ihrer Versammlung neu hinzukommen (1. Kor 14,23–25). 15 So nehmen sie an der Verkündigung (1. Kor 11,26) und am Lobpreis Gottes (Apg 2,47) teil.
16 Durch den Gottesdienst weist Gott die Christen zugleich zum Dienst an der Welt. 17 Er erneuert ihren Sinn (Röm 12,2) und befähigt sie, Fürbitte zu halten für alle Menschen (1. Tim 2,1–6) und Gottes Willen in ihrem Leben zu befolgen. 18 Paulus nennt das den vernünftigen Gottesdienst (Röm 12,1).
19 Der Gottesdienst geschieht in der Hoffnung auf die universale Vollendung des Gottesreiches (Mt 26,29). 20 In Anbetung und Lobpreis lässt sich die Gemeinde von Gottes Kraft und Herrlichkeit ergreifen (Offb 5,13). 21 Im Abendmahl empfängt sie einen Vorgeschmack der ewigen Gemeinschaft mit ihrem Herrn zur Stärkung auf dem Weg durch diese Zeit.
22 Die Gemeinde feiert den Sonntag als den Tag der Auferstehung Jesu Christi. 23 Mit der Sonntagsfeier folgt sie aber auch dem Gebot Gottes, dass der Mensch an einem Tag in der Woche ruhen und diesen Tag heiligen soll. 24 Alle Menschen sind eingeladen, diese heilsame Unterbrechung des Alltags als Geschenk anzunehmen. 25 Mit der Feier des Gottesdienstes am Sonntag dient die christliche Gemeinde auch der ganzen Gesellschaft.
26 Um der Gemeinschaft mit der Kirche aller Zeiten, der Stetigkeit und der Wiedererkennbarkeit willen wird der Gottesdienst in einer in Jahrhunderten geschichtlich gewachsenen Form gehalten. 27 Um der Lebendigkeit und der Verständlichkeit für den heutigen Menschen willen muss er stets auch neue Elemente der Form, der Sprache und der Musik in sich aufnehmen. 28 Dabei können Anregungen aus anderen Kirchen helfen. 29 Ort der Verbindung von Tradition und Gegenwartsbezogenheit ist nicht allein die Predigt, sondern die Liturgie im Ganzen. 30 Dabei besitzt die Kirchenmusik besondere Bedeutung. 31 Musik und Gesang sind von altersher Ausdrucksformen des Glaubens. 32 Alle Formen dienen der Verkündigung des Wortes und der Gemeinschaft der Gemeinde.
33 Die bei allem geschichtlichen Wandel unverzichtbaren Elemente des Gottesdienstes sind:
  • die öffentliche Verkündigung der frohen Botschaft von Jesus Christus;
  • die Antwort der Gemeinde in Anbetung und Bekenntnis, Opfer, Dank und Klage, Lob und Bitte durch Gebete und Lieder;
  • die Sammlung und Stärkung der Gemeinde zur Gemeinschaft des Leibes Christi in der Feier von Taufe und Abendmahl;
  • die Zurüstung und Sendung zum freien und dankbaren Dienst;
  • der Zuspruch des Segens.
34 Die Ordnung des Kirchenjahres ermöglicht das Mitfeiern und Aneignen des Heilsgeschehens. 35 Das Kirchenjahr eröffnet nicht nur einen Einblick in die Geschichtlichkeit des Glaubens, sondern kann auch eigene Lebenserfahrungen deuten.
36 Die sorgfältige Vorbereitung und Gestaltung des Gottesdienstes ist Ausdruck der Liebe zu Gott und den Menschen. 37 Dazu gehört auch eine liturgisch angemessene Kleidung. 38 Die Agende verhilft zur sorgfältigen Vorbereitung und rechten Gestaltung des Gottesdienstes. 39 Der gottesdienstliche Raum dient der Feier und der Gemeinschaft der Gemeindeglieder. 40 Deshalb ist die festliche Ausstattung und künstlerische Gestaltung des Raumes wichtig.
41 Gottesdienst kann zu jeder Zeit und an unterschiedlichen Orten gefeiert werden – auch im Stadion oder am Waldrand, in einer Werkhalle oder in einem Wohnzimmer, im Krankenhaus oder in der Schule. 42 Es hat jedoch einen guten Grund, dass es besondere gottesdienstliche Räume und Kirchbauten gibt, die ein öffentliches Zeichen des christlichen Glaubens sind.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 1
Präambel

Die christliche Gemeinde versammelt sich im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zum Gottesdienst und lädt dazu ein. Sie hört auf Gottes Wort, feiert die Sakramente und antwortet mit Gebet, Lobgesang und Dankopfer. Sie empfängt Gottes Segen und lässt sich in die Welt senden. Durch die Versammlung unter Gottes Wort soll das ganze Leben der Christen zum Gottesdienst werden.
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Artikel 2
Zeit und Ort des Gottesdienstes

(1) Die Gemeinde feiert am Sonntag Gottesdienst, weil der Sonntag der Tag der Auferstehung Jesu Christi ist. Gottesdienste finden auch an kirchlichen Feiertagen statt. Sie können darüber hinaus an anderen Wochentagen gefeiert werden.
(2) Gottesdienste finden in der Regel in Kirchbauten oder in anderen geeigneten Räumen statt.
(3) Zeiten und Orte der Gottesdienste bestimmt der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) im Rahmen des gliedkirchlichen Rechts.
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Artikel 3
Familiengottesdienste, Kindergottesdienst und Gottesdienste aus besonderen Anlässen

(1) Der Gottesdienst soll die verschiedenen Altersgruppen in der Gemeinde miteinander verbinden und besonders auch für Kinder und Jugendliche einladend gestaltet sein.
(2) Gemeinsame Gottesdienste für Erwachsene und Kinder (Familiengottesdienste) sollen regelmäßig gefeiert werden.
(3) Die Kinder der Gemeinde sollen zum Kindergottesdienst eingeladen werden.
(4) Aus besonderen Anlässen werden Gottesdienste wie Gebetsgottesdienste, Ökumenische Gottesdienste, Dankgottesdienste und Fürbittgottesdienste gefeiert.
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Artikel 4
Verkündigung

Die Verkündigung im Gottesdienst ist an die Heilige Schrift gebunden. Die Bekenntnisse der Kirche und das Gespräch mit Schwestern und Brüdern sind Hilfen zur rechten Verkündigung. In der Predigt wird in der Regel ein Abschnitt aus der Heiligen Schrift ausgelegt. Die biblischen Lesungen sollen in der eingeführten Bibelübersetzung vorgetragen werden.
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Artikel 5
Ordnung des Gottesdienstes

(1) Der Gottesdienst wird im Rahmen der geltenden Agende und mit dem eingeführten Gesangbuch gefeiert.
(2) Die Feier des Gottesdienstes nach der Agende entbindet nicht von der Aufgabe, jeden Gottesdienst dem Anlass und dem Kreis der Teilnehmenden entsprechend zu gestalten. Neben der Beachtung fester Strukturen und der Wiederholung bekannter Formen sollen Wege beschritten werden, die biblische Botschaft in vielfältiger Weise zur Sprache zu bringen. Predigt- und Gottesdienstvorbereitungskreise sind Ausdruck dafür, dass der Gottesdienst Sache der ganzen Gemeinde ist.
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Artikel 6
Leitung und Mitwirkung

(1) Der Gottesdienst und die Feier von Taufe und Abendmahl werden von dazu besonders ausgebildeten und öffentlich berufenen (ordinierten) Personen geleitet.
(2) Andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie geeignete Gemeindeglieder können nach einer entsprechenden Zurüstung mit der Leitung des Gottesdienstes beauftragt werden. Die Beauftragung erfolgt in der Regel für eine begrenzte Zeit und einen bestimmten Ort.
(3) Bei Vorbereitung und Gestaltung des Gottesdienstes sollen weitere Gemeindeglieder, je nach örtlicher Möglichkeit insbesondere Kantorin oder Kantor und Chor, aktiv beteiligt werden.
(4) Für eine liturgisch angemessene Kleidung ist Sorge zu tragen.
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Artikel 7
Kollekten

(1) In den Gottesdiensten werden Kollekten gesammelt.
(2) Für die Zweckbestimmung der Kollekten ist der landeskirchlich beschlossene Kollektenplan maßgeblich.
(3) Über die Kollekten, deren Zweckbestimmung der Gemeinde durch den Kollektenplan freigestellt ist, entscheidet zuvor der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium).
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Artikel 8
Abkündigungen, Bekanntmachungen, Informationen

In den Abkündigungen werden kirchliche Amtshandlungen bekannt gegeben und Gemeindeglieder der Fürbitte der Gemeinde empfohlen. Ferner werden Bestimmungen und Ergebnisse der Kollekten genannt und kirchenamtliche Bekanntmachungen verlesen. Zudem wird zu kirchlichen Veranstaltungen eingeladen und über Ereignisse in Gemeinde und Kirche berichtet. Darüber hinaus soll über Anliegen der Partnergemeinde(n) informiert werden.
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Artikel 9
Glockengeläut

Die Glocken rufen die Gemeinde zum Gottesdienst und laden zum Gebet ein. Das Glockengeläut wird durch eine Läuteordnung geregelt.
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Artikel 10
Kirchengebäude

Zur liturgischen Verantwortung für den Gottesdienst gehört der angemessene Umgang mit dem gottesdienstlichen Raum. Deshalb ist die Ausstattung des Raumes in ihrer geistlichen Aussagekraft zu beachten und zu pflegen.
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Artikel 11
Fotografische und filmische Aufnahmen

(1) Der Gottesdienst ist eine öffentliche Veranstaltung. Die Kirche hat ein Interesse daran, dass ihr gottesdienstliches Leben in der Öffentlichkeit wirksam dargestellt und in der privaten Erinnerung erhalten bleibt. Dabei sind bestimmte Regeln einzuhalten, um die Würde des Gottesdienstes und der Amtshandlungen sowie die Privatsphäre der Menschen zu achten.
(2) Zurückhaltung ist beim Filmen und Fotografieren geboten, vor allem während der Feier des Abendmahls, der Taufhandlung, bei der Einsegnung der Konfirmandinnen und Konfirmanden, bei der Segnung von Brautpaaren und bei Ordinationen und Amtseinführungen.
(3) Für Funk- und Fernsehübertragungen gelten eigene Regeln. Diese sind bei der Vorbereitung genau abzusprechen.
(4) Der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) legt im Blick auf die örtlichen Verhältnisse die allgemeinen Bedingungen fest, die beim Fotografieren und Filmen während des Gottesdienstes und bei Amtshandlungen einzuhalten sind.
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2.
Taufe

I. Wahrnehmung der Situation
Von ihren Anfängen an hat die Kirche Menschen getauft. Die Taufe begründet die Mitgliedschaft in der Kirche. Sie soll im Glauben der Getauften ihre Fortsetzung und Entsprechung finden. Gegenwärtig werden in den Gemeinden alte Formen der Taufpraxis belebt, und die Gestaltung der Taufgottesdienste erfährt besondere Aufmerksamkeit.
Im Osten Deutschlands ist die Mehrzahl der Bevölkerung nicht getauft. Auch im Westen steigt der Anteil der Nichtgetauften. Missionarische Verkündigung als Einladung zur Taufe ist daher zu einer vordringlichen Aufgabe der Kirche geworden. Mancherorts hat die Taufe von Kindern an Selbstverständlichkeit verloren. Die Taufe von Jugendlichen und Erwachsenen kommt häufiger vor. 10 Dennoch werden die meisten als Säuglinge und Kleinkinder getauft.
11 Die Motive, die Eltern veranlassen, ihre Kinder taufen zu lassen, sind unterschiedlich. 12 Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder unter Gottes Schutz und Segen leben und in die Tradition hineinwachsen, in der sie selber stehen. 13 Auch wo es Eltern schwer fällt, den Wunsch zu verdeutlichen, ihr Kind taufen zu lassen, steht doch häufig Ehrfurcht vor dem Unbegreiflichen im Leben dahinter. 14 Die Kirche ist aus gutem Grund zurückhaltend, die Ehrlichkeit der Bitte um die Taufe, wie immer sie vorgetragen wird, zu bezweifeln.
15 Werden Kinder zur Taufe gebracht, wissen sich Eltern, Patinnen, Paten und die Gemeinde dazu verpflichtet, dass die heranwachsenden Kinder von Jesus Christus hören, an das Gebet herangeführt werden, das Zeugnis der Bibel kennen lernen und immer wieder zum Glauben eingeladen werden. 16 In der Gemeinde geschieht das vor allem in der Arbeit mit Kindern und in der Konfirmandenarbeit. 17 In manchen Fällen haben Eltern Schwierigkeiten, Patinnen oder Paten zu finden, die der Kirche angehören. 18 Auf Wunsch der Eltern hilft die Gemeinde, geeignete Patinnen und Paten zu finden. 19 Wenn Kinder im Schulalter, Jugendliche oder Erwachsene sich taufen lassen, wird nicht nach einem bereits bewährten und entschiedenen Glauben gefragt, sondern danach, ob nach dem Maß des jeweiligen Verständnisses der aufrichtige Wunsch besteht, Gottes Verheißung in der Taufe zu empfangen.
20 Wenn Eltern die Taufe ihrer Kinder aufschieben, weil sie darauf hinwirken möchten, dass sie sich nach eigener Entscheidung taufen lassen, so besteht in manchen Gliedkirchen das Angebot einer besonderen Fürbitte, Danksagung oder Segnung.
21 Wer auf Grund der Entscheidung seiner Eltern getauft wurde, steht vor der Aufgabe, ein persönliches Verhältnis zum christlichen Glauben zu finden. 22 Manchen gelingt das nicht, und sie treten später aus der Kirche aus. 23 In diesem Fall entfallen zwar alle Rechte und Pflichten der Zugehörigkeit, aber die Möglichkeit der Rückkehr zur Kirche steht jederzeit offen. 24 Die Taufe bleibt gültig und wird nicht wiederholt. 25 Andere bleiben in der Kirche, können aber keinen inneren Zugang zu ihrer Verkündigung finden. 26 Trotzdem möchten sie nicht aufgeben, was ihnen als Kind mitgegeben wurde. 27 Ein Beweggrund ist bei vielen der Respekt vor dem, was menschliche Vorstellungen übersteigt. 28 Menschen, die bewusst mit der Kirche leben, sehen in der Taufe Gottes Geschenk, das ihnen die Möglichkeit gibt, mit Schritten des Glaubens zu antworten. 29 Für sie ist die in der Taufe begründete Zugehörigkeit zur Kirche Freude und Verpflichtung.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Die christliche Gemeinde tauft, weil Jesus Christus gesagt und geboten hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,18–20). Diese Worte sind auch unter der Bezeichnung „Missionsbefehl“ bekannt. Sie verpflichten die christliche Gemeinde dazu, alle Menschen einzuladen, Jüngerinnen und Jünger Jesu zu werden und sich taufen zu lassen. Die Herrschaft Jesu Christi über alle Welt und die Verheißung seiner Gegenwart sind für die Taufe grundlegend und zugleich maßgebend für ihre Bedeutung und Ordnung. Die Taufe ist das allen christlichen Kirchen gemeinsame Sakrament und ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit.
Die Taufe wird vollzogen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Bei der Taufe wird der Kopf des Täuflings dreimal mit Wasser begossen. Der Gebrauch des Wassers bringt zeichenhaft zum Ausdruck, worin die Bedeutung der Taufe besteht: „Taufen“ kommt von Untertauchen, dem ein Wiederauftauchen folgt. Die Taufe symbolisiert das Mitsterben mit Christus, der für unsere Gottesferne den Tod erlitt, und die Auferstehung zu neuem Leben in der Verbindung mit Christus (Röm 6,2–4). 10 Durch Leiden und Sterben Jesu Christi hat Gott die Welt mit sich versöhnt (2. Kor 5,19). 11 Die Auferstehung Jesu Christi ist der Beginn einer neuen Schöpfung in der Gemeinschaft mit Gott (Joh 3,16). 12 Der Getaufte gehört zu Jesus Christus und wird Glied am Leib Christi (1. Kor 12,12 f.). 13 Die Taufe ist Neugeburt im Heiligen Geist (Tit 3,5) durch das Wort, dem der Glaube antwortet. 14 Sie bewirkt Vergebung der Sünden und ist der Beginn des neuen Lebens des einzelnen Christen. 15 Die Wiederholung der Taufe ist ausgeschlossen.
16 Im Sakrament tritt das wirksame göttliche Wort zu einer anschaulichen Handlung hinzu. 17 So erklärt Martin Luther im Kleinen Katechismus im Blick auf die Taufe: „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Wort Gottes im Wasser trauet; denn ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe.“ 18 Das Sakrament der Taufe ist symbolische Darstellung dessen, was im Evangelium zugesagt wird.
19 In der Taufe werden Menschen unabhängig von ihrem Lebensalter der Gnade Gottes teilhaftig. 20 Die Taufe von Kindern und Erwachsenen gründet gleichermaßen im rettenden Handeln Gottes. 21 Die Taufe eines Kindes bringt auf unüberbietbare Weise die Bedingungslosigkeit der göttlichen Heilszusage zum Ausdruck. 22 Demgegenüber macht die Taufe eines Erwachsenen den verpflichtenden Charakter der Taufe stärker bewusst.
23 In vielen Gemeinden wird die Taufe durch Zeichenhandlungen begleitet, die den Sinn der Taufe verdeutlichen (zum Beispiel Segnung mit Handauflegung, Kreuzeszeichen, Anzünden einer Taufkerze). 24 Dabei ist darauf zu achten, dass der zentrale Akt der Wassertaufe nicht durch Zeichenhandlungen verdunkelt wird.
25 Für die Taufe von Kindern gilt: Eltern, Patinnen, Paten und die Gemeinde tragen gemeinsam Verantwortung, dass den heranwachsenden Menschen ein Leben im Glauben ermöglicht wird. 26 Die Eltern bekennen mit den Patinnen und Paten stellvertretend den Glauben und versprechen, zusammen mit der christlichen Gemeinde dafür zu sorgen, dass das Kind im christlichen Glauben erzogen wird. 27 Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Patinnen und Paten zu. 28 Einerseits sind sie Zeugen der Taufe. 29 Andererseits ist es ihre Aufgabe, zusammen mit den Eltern dafür zu sorgen, dass das getaufte Kind sich der Bedeutung der Taufe bewusst wird. 30 Das geschieht, indem sie für das Kind und mit ihm beten, es auf seine Taufe hin ansprechen und ihm zu einem altersgemäßen Zugang zur Gemeinde verhelfen. 31 Durch die Überreichung von Patenbriefen und Schriftenmaterial kann die Gemeinde sie in ihrem Auftrag unterstützen. 32 Darüber hinaus können die Patinnen und Paten den Täufling in seinem Leben beratend und helfend begleiten. 33 Finden Eltern keine Patinnen oder Paten, die der Kirche angehören, dann trägt die Gemeinde eine besondere Verantwortung, Gemeindeglieder für die Übernahme des Patenamtes zu gewinnen. 34 Die Patinnen und Paten erklären sich bereit, ihr Amt als kirchlichen Auftrag zu übernehmen.
35 Der Taufvorbereitung und Tauferinnerung wird in einer Vielfalt von gemeindlichen Angeboten Raum gewährt. 36 Der Taufverantwortung der Eltern, Patinnen, Paten und der im Erwachsenenalter Getauften dienen Angebote von Gottesdiensten mit dem Akzent des Taufgedächtnisses, wie Osternachts- oder Familiengottesdienste, Gottesdienste am Sonntag nach Ostern, am 6. Sonntag nach Trinitatis und zu Epiphanias. 37 Auch Veranstaltungen kirchlicher Erwachsenen- und Familienbildung (Gesprächsabende, Freizeiten, Seminare) dienen der Taufverantwortung.
38 Die Taufe erfolgt in der Regel im Gottesdienst der versammelten Gemeinde. 39 Sie eröffnet grundsätzlich den Zugang zum Tisch des Herrn. 40 Sie begründet die Mitgliedschaft in einer bestimmten Kirche.
41 In Notfällen kann jeder Getaufte die Taufe vollziehen. 42 Eine Ordnung dafür findet sich im Evangelischen Gesangbuch.
43 Wo die Ordnung der Kirche es zulässt, kann die Gemeinde auf Wunsch der Eltern eine eigene Fürbitte, Danksagung und Segnung für noch nicht getaufte Kinder im Gottesdienst anbieten. 44 Damit bezeugen die Eltern ihren Dank an Gott sowie den Willen, das Kind zur Taufe zu führen. 45 Gemeinsam mit der Gemeinde bitten sie um Gottes Segen für das Kind und seinen Weg zum Christsein. 46 Fürbitte, Danksagung und Segnung unterscheiden sich nach Form und Inhalt eindeutig von der Taufe. 47 Die Gemeinde weiß sich für diese noch nicht getauften Kinder ebenso verantwortlich wie für die getauften Kinder. 48 Wenn Eltern einen Taufaufschub wünschen, um ihren Kindern eine eigene Entscheidung über die Taufe zu ermöglichen, lädt die Gemeinde diese Kinder zu Gottesdienst und kirchlichem Unterricht ein und hilft den Eltern, die Kinder auf die Taufe vorzubereiten.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 12
Präambel

Das Sakrament der heiligen Taufe ist die grundlegende kirchliche Handlung, durch die die Getauften zu Gliedern am Leibe Christi berufen werden und ihre Mitgliedschaft in der Kirche begründet wird. Die Gemeinde lässt sich im Gottesdienst an die Gabe und Verpflichtung der Taufe erinnern und dankt für die Freundlichkeit Gottes, die im Glauben ihre Antwort findet.
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Artikel 13
Taufvorbereitung

(1) Der Taufe geht eine Taufvorbereitung voraus. Sie richtet sich nach dem Lebensalter des Täuflings.
(2) Wird für Kinder die Taufe begehrt, führt die Pfarrerin oder der Pfarrer mit den Eltern – wenn möglich auch mit den Patinnen und Paten – ein Gespräch über Verheißung und Verpflichtung der Taufe. Heranwachsende Kinder sind ihrem Lebensalter entsprechend in die Taufvorbereitung einzubeziehen.
(3) Für ungetaufte Jugendliche im Konfirmandenalter ist der Konfirmandenunterricht die zur Taufe hinführende Taufunterweisung. Ihre Taufe kann während der Unterrichtszeit oder im Konfirmationsgottesdienst erfolgen.
(4) Der Taufe Erwachsener geht eine Taufunterweisung voraus, wobei auch die persönlichen Beweggründe des Taufwunsches zur Sprache kommen. Die Taufunterweisung darf nicht durch überfordernde Ansprüche davon abschrecken, Gottes Zusage für sich in Anspruch zu nehmen.
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Artikel 14
Tauffeier, Abkündigung und Fürbitte

(1) Die Taufe wird im Gottesdienst nach der Ordnung der geltenden Agende vollzogen.
(2) Taufen außerhalb des Gemeindegottesdienstes, Haustaufen oder Taufen in Krankenhäusern finden nur in begründeten Ausnahmefällen statt.
(3) Taufen in Notfällen können alle Getauften vollziehen. Sie sind unverzüglich der zuständigen Kirchengemeinde zur Bestätigung mitzuteilen.
(4) Die außerhalb des Gemeindegottesdienstes vollzogene Taufe wird im Sonntagsgottesdienst bekannt gegeben.
(5) Die Gemeinde hält für den Täufling, seine Eltern, Patinnen und Paten Fürbitte.
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Artikel 15
Verantwortung der Eltern bei der Taufe von Kindern

(1) Die Eltern bekennen bei der Taufe ihres Kindes gemeinsam mit den Patinnen und Paten stellvertretend den Glauben und verpflichten sich, für die Erziehung des Kindes im christlichen Glauben zu sorgen.
(2) Die Eltern sind dafür verantwortlich, dass das Kind sich der Bedeutung der Taufe bewusst wird. Sie beten für das Kind und mit ihm, führen es an die biblische Botschaft heran und helfen ihm, einen altersgemäßen Zugang zur Gemeinde zu finden.
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Artikel 16
Patenamt

(1) Für die Taufe eines Kindes werden in der Regel Patinnen und Paten bestellt.
(2) Patinnen und Paten sind Zeuginnen und Zeugen des Taufvollzugs und haben die Aufgabe, gemeinsam mit den Eltern und der Gemeinde für die Erziehung des Kindes im christlichen Glauben zu sorgen.
(3) Patin oder Pate kann sein, wer der evangelischen Kirche angehört und zum Abendmahl zugelassen ist.
(4) Auch Mitglieder einer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen angehörenden Kirche können zum Patenamt zugelassen werden. Daneben soll jedoch eine Patin oder ein Pate der evangelischen Kirche angehören.
(5) Das Patenamt erlischt, wenn die Patin oder der Pate die Zulassung zum Abendmahl verliert, insbesondere beim Austritt aus der Kirche. Im Kirchenbuch kann das Erlöschen des Patenamtes vermerkt werden.
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Artikel 17
Verantwortung der Gemeinde für nicht getaufte Kinder

(1) Auch wenn Eltern ihre Kinder nicht in den ersten Lebensjahren taufen lassen möchten, sondern darauf hinwirken wollen, dass die Kinder sich später selbst für die Taufe entscheiden, ist die Gemeinde auch für diese Kinder verantwortlich. Sie lädt sie zu Gottesdienst und kirchlichem Unterricht ein und hilft den Eltern, die Kinder auf ihre Taufe vorzubereiten.
(2) Wo die Ordnung der Gliedkirche es zulässt, kann die Gemeinde auf Wunsch der Eltern eine besondere Fürbitte, Danksagung und Segnung für noch nicht getaufte Kinder im Gottesdienst anbieten. Diese Fürbitte, Danksagung und Segnung muss nach Form und Inhalt eindeutig von der Taufe unterschieden sein.
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Artikel 18
Ablehnungsgründe

(1) Die Taufe ist abzulehnen, solange die Eltern die Taufvorbereitung (das Taufgespräch) verweigern, wenn eine Sorgeberechtigte oder ein Sorgeberechtigter der Taufe widerspricht oder wenn die evangelische Erziehung des Kindes abgelehnt wird. Die Taufe ist in der Regel auch abzulehnen, wenn ein heranwachsendes Kind bei der Taufvorbereitung Widerspruch gegen den Vollzug der Taufe erkennen lässt.
(2) Die Taufe eines Kindes, dessen Eltern nicht der evangelischen Kirche angehören, darf nur vollzogen werden, wenn die Eltern damit einverstanden sind und Patinnen, Paten oder andere Gemeindeglieder bereit und in der Lage sind, die Verantwortung für die evangelische Erziehung des Kindes zu übernehmen. Andernfalls muss die Taufe abgelehnt werden.
(3) Die Taufe von Erwachsenen ist abzulehnen, solange sie an einer Taufunterweisung nicht teilgenommen haben oder wenn das Taufgespräch ergibt, dass das Begehren nicht ernsthaft ist.
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Artikel 19
Bedenken gegen die Taufe, Ablehnung und Beschwerde

(1) Hat die Pfarrerin oder der Pfarrer Bedenken, die Taufe zu vollziehen, ist eine Entscheidung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) herbeizuführen. Lehnt dieser (dieses) die Taufe ab, können die Eltern oder der religionsmündige Täufling Beschwerde beim Kreiskirchenrat (Kreissynodalvorstand) einlegen. Dessen Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
(2) Ist die Pfarrerin oder der Pfarrer entgegen der Entscheidung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) oder des Kreiskirchenrates (Kreissynodalvorstands) überzeugt, die Taufe nicht verantworten zu können, ist sie einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer zu übertragen.
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Artikel 20
Zuständigkeit

(1) Die Taufe vollzieht die Pfarrerin oder der Pfarrer der Kirchengemeinde, zu der die Mitgliedschaft begründet werden soll. Das ist in der Regel die Wohnsitzkirchengemeinde.
(2) Soll die Taufe von einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer vollzogen werden, ist ein Abmeldeschein (Dimissoriale) des zuständigen Pfarramts erforderlich. Dessen Erteilung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, aus denen eine Taufe abgelehnt werden kann.
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Artikel 21
Beurkundung und Bescheinigung

(1) Die Taufe wird in das Kirchenbuch der Kirchengemeinde eingetragen, in der sie vollzogen wurde. Die Wohnsitzkirchengemeinde ist zu benachrichtigen. Besteht die Mitgliedschaft zu einer anderen als der Wohnsitzkirchengemeinde, ist auch diese zu benachrichtigen.
(2) Über die Taufe wird ein Taufschein ausgestellt.
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Artikel 22
Rechtsfolgen der Taufe

(1) Die Taufe ist Grundlage für die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde und Landeskirche.
(2) Mit der Taufe von Erwachsenen ist die Zulassung zum Abendmahl verbunden.
(3) Die Zulassung zum Abendmahl berechtigt insbesondere zur Übernahme des Patenamtes.
(4) Eine nach dem Auftrag Jesu Christi mit Wasser im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogene Taufe darf nicht wiederholt werden.
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Artikel 23
Anerkennung der Taufe

Die evangelische Kirche erkennt alle Taufen an, die nach dem Auftrag Jesu Christi mit Wasser im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen worden sind.
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3.
Abendmahl

I. Wahrnehmung der Situation
Seit ihren Anfängen feiert die Christenheit das Abendmahl. Das Essen und Trinken von Brot und Wein erinnert an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern. In der evangelischen Kirche hat das Abendmahl in den letzten Jahrzehnten als Mahl der Gemeinschaft, Hoffnung und Freude neu an Bedeutung gewonnen. Es ist zu beobachten, dass in vielen Gemeinden das Abendmahl häufiger als früher gefeiert wird und mehr Gemeindeglieder daran teilnehmen. In manchen Gemeinden wird im Blick auf Alkoholgefährdete, Kranke und Kinder bei der Abendmahlsfeier auch Traubensaft gereicht. Vielen Christen ist das Abendmahl zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Frömmigkeit geworden. Eine reichere liturgische Gestaltung, Gesten der Versöhnung und Gemeinschaft und neuere Formen der Austeilung von Brot und Wein erweisen sich dabei als wichtige Hilfen. Auch auf Kirchentagen, Freizeiten und Rüstzeiten oder in Gemeindekreisen wird das Abendmahl als Glaubens- und Lebenshilfe erfahren.
Diese Entwicklung wirft im Blick auf die Abendmahlspraxis aber auch Fragen auf. 10 Sie betreffen vor allem die Zulassung zum Abendmahl. 11 Viele Gemeindeglieder leben in einer konfessionsverschiedenen Ehe und vermögen nicht zu verstehen, warum nicht alle Kirchen Abendmahlsgemeinschaft untereinander haben. 12 Ökumenische Gottesdienste und Begegnungen, gemeinsame Bibelwochen und Gesprächsabende bestärken sie in ihrer Ansicht, dass die Konfessionsgrenzen gerade bei der Abendmahlsgemeinschaft kein Hinderungsgrund sein dürften. 13 Die „offizielle“ Auffassung, nach der die Konfessionszugehörigkeit für den Abendmahlsempfang eine wichtige Voraussetzung ist, wird immer weniger verstanden und akzeptiert. 14 So kommt es auch vor, dass beispielsweise bei einer Konfirmation auch Ungetaufte oder aus der Kirche Ausgetretene an der Abendmahlsfeier teilnehmen wollen. 15 Die christliche Gemeinde sieht sich vor der Aufgabe, zum Abendmahl einzuladen, ohne Zuspruch und Anspruch des Sakraments preiszugeben.
16 Die vollzogene Tischgemeinschaft gilt als Zeichen der Einheit der Kirche. 17 Die Verweigerung der Tischgemeinschaft kennzeichnet die konfessionell getrennte Christenheit. 18 Das Abendmahl ist ein zentrales Thema der ökumenischen Bewegung. 19 Theologische Gespräche zwischen einzelnen Kirchen, Unionsbemühungen und Weltkonferenzen belegen, dass die Übereinstimmung im Verständnis und in der Ordnung des Abendmahls als unabdingbar für die volle Kirchengemeinschaft angesehen wird.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Nach der von Paulus in 1. Kor 11,23–25 zitierten Überlieferung und den Berichten der ersten drei Evangelien hat Jesus das Abendmahl „in der Nacht, da er verraten ward“ zum ersten Mal mit seinen Jüngern gefeiert (Mt 25,27–29; Mk 14,23–25; Lk 22,19–20). Am Vorabend der Kreuzigung gibt er den Menschen, die ihm gefolgt waren, in diesem letzten Mahl zeichen- und sinnenhaft Anteil an seinem Leben. Während der Passahfeier verdeutlicht Jesus ihnen, dass sein unmittelbar bevorstehendes Leiden und Sterben ihnen zugute geschieht. Paulus berichtet, die Überlieferung vom letzten Mahl Jesu vom Herrn selbst empfangen zu haben (1. Kor 11,23). So gründet das Sakrament des Abendmahls in der Stiftung und im Auftrag Jesu Christi.
Von Anfang der urchristlichen Gemeinde an wurde das Abendmahl gefeiert (Apg 2,42). Es ist eine gottesdienstliche Handlung der im Namen Jesu versammelten Gemeinde. Die Gemeinde verkündigt den Tod Jesu Christi, durch den Gott die Welt mit sich versöhnt hat (1. Kor 11,26; 2. Kor 5,19–20). Sie dankt für seine Gegenwart, bittet um die Gabe des Heiligen Geistes und schaut voraus auf die Wiederkunft Jesu Christi (Mk 14,25).
10 Jesus Christus ist im Abendmahl zugleich Gabe und Gastgeber. 11 In Brot und Wein empfangen wir von ihm die Wegzehrung, die uns im Glauben festigt und die in der Taufe gewährte Gemeinschaft mit ihm vertieft und erneuert. 12 Er lässt uns Anteil haben an dem neuen Bund in seinem Blut, den Gott gestiftet hat, und schenkt uns Vergebung der Sünden. 13 Dadurch stärkt er zugleich unsere Gemeinschaft untereinander.
14 Über das Verständnis der Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl gab es zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche über Jahrhunderte hin unüberbrückbare Gegensätze, nachdem der Einigungsversuch zwischen Luther und Zwingli im Marburger Religionsgespräch 1529 gescheitert war. 15 Erst die Arnoldshainer Abendmahlsthesen (1957) und die Leuenberger Konkordie (1973) haben zu einem gemeinsamen Abendmahlsverständnis geführt. 16 In der Leuenberger Konkordie wird als gemeinsame theologische Überzeugung formuliert: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein“ (Leuenberger Konkordie Nr. 18).
17 Der Begriff „Abendmahl“ (auch „Nachtmahl“) wird von Luther erstmals in seiner Bibelübersetzung von 1522 gebraucht. 18 Seitdem ist er die in deutschsprachigen evangelischen Kirchen übliche Bezeichnung. 19 Der Begriff hält die Erinnerung daran wach, dass das Abendmahl nach den ersten drei Evangelien zum ersten Mal in Zusammenhang des Passahabends gefeiert wurde. 20 Die von Paulus verwendete Bezeichnung „Mahl des Herrn“ (1. Kor 11, 20) erinnert besonders an den Stifter des Mahles und Geber seiner Gaben. 21 „Eucharistie“ ist der im angelsächsischen und ökumenischen Sprachgebrauch vorherrschende Begriff. 22 Er heißt übersetzt „Danksagung“ (vgl. 1. Kor 11,24) und unterstreicht einen wichtigen Aspekt der Abendmahlsfeier. 23 Die vor allem in der römisch-katholischen Kirche und bei den Anglikanern für die Austeilung übliche Bezeichnung „Kommunion“ meint in erster Linie den Empfang des Sakraments, weist aber auch auf seinen Gemeinschaftscharakter hin (1. Kor 10,16 f.).
24 Um der im Abendmahl vollzogenen engen Gemeinschaft Jesu Christi mit seiner Gemeinde willen setzt die Teilnahme am Abendmahl grundsätzlich die in der Taufe begründete Zugehörigkeit zur Kirche voraus. 25 Die Praxis, auch getaufte Kinder nach entsprechender Unterweisung in Begleitung der Eltern zum Abendmahl einzuladen, hat sich vielerorts bewährt. 26 Die Zulassung zur selbstständigen Teilnahme am Abendmahl geschieht in der Regel in der Konfirmandenzeit oder mit der Konfirmation. 27 Glieder anderer christlicher Kirchen, mit denen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft besteht, genießen das gleiche Recht zur Teilnahme wie die eigenen evangelischen Gemeindeglieder. 28 Mit bestimmten Kirchen, wie zum Beispiel der Altkatholischen Kirche, der Kirche von England und der Arbeitsgemeinschaft mennonitischer Gemeinden ist eucharistische Gastbereitschaft vereinbart, ohne dass eine volle Abendmahls- und Kirchengemeinschaft besteht. 29 Nach evangelischem Verständnis steht auch Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirchen die Teilnahme am Abendmahl offen, wenn sie in persönlicher Verantwortung der Abendmahlseinladung folgen wollen. 30 Die eucharistische Gastbereitschaft gilt auch dann, wenn sie offiziell nicht erwidert wird, wie das bei der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen der Fall ist.
31 Jede Gemeinde trägt eine hohe Verantwortung, die Menschen durch Verkündigung, Gespräch und die Gestaltung der Abendmahlsfeier an den Sinn des Sakraments heranzuführen.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 24
Präambel

Im Sakrament des heiligen Abendmahls „schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht“ (Leuenberger Konkordie Nr. 18).
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Artikel 25
Abendmahlsfeier

(1) Das Abendmahl wird nach der Ordnung der geltenden Agende gefeiert.
(2) Für den Wortlaut der Einsetzungsworte ist die agendarische Form verpflichtend.
(3) Die Elemente des Abendmahls sind Brot und Wein. Mit ihnen ist auch nach der Abendmahlsfeier sorgsam umzugehen.
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Artikel 26
Leitung der Abendmahlsfeier und Mitwirkung

(1) Die Feier des Abendmahls wird von dazu besonders ausgebildeten und öffentlich berufenen (ordinierten) Gemeindegliedern geleitet.
(2) Bei der Austeilung des Abendmahls können Älteste und andere Gemeindemitglieder mitwirken.
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Artikel 27
Besondere Formen der Austeilung und des Empfangs

(1) Zur Austeilung können in Ausnahmefällen auch Einzelkelche benutzt werden; der Gemeinschaftscharakter des Abendmahls ist dabei zu wahren.
(2) Statt Wein kann aus seelsorglicher Verantwortung heraus im Ausnahmefall Traubensaft gereicht werden. Dabei können Wein und Traubensaft in verschiedenen Gruppen ausgeteilt werden.
(3) Gelegentliche alkoholfreie Abendmahlsfeiern können mit Zustimmung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) angeboten werden.
(4) Auch das Eintauchen des Brotes (intinctio) oder der Empfang des Abendmahls in einer Gestalt sind zulässige Formen der Teilhabe am Abendmahl.
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Artikel 28
Zulassung und Teilnahme am Abendmahl

(1) Voraussetzung für die Teilnahme am Abendmahl ist die Taufe. Eingeladen sind alle getauften Glieder der evangelischen Kirche und anderer Kirchen, mit denen Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft besteht. Im Rahmen eucharistischer Gastbereitschaft sind auch Glieder solcher christlicher Kirchen eingeladen, mit denen noch keine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft besteht, selbst wenn diese Gastbereitschaft offiziell nicht erwidert wird.
(2) Die Teilnahme am Abendmahl in selbstständiger Verantwortung setzt die Zulassung zum Abendmahl voraus. Zum Abendmahl zugelassen ist, wer konfirmiert, im Erwachsenenalter getauft oder in die Kirche (wieder) aufgenommen wurde, sofern die Zulassung zum Abendmahl nicht durch Entzug oder Kirchenaustritt verloren wurde.
(3) Gemeindeglieder, die nicht konfirmiert sind, können nach genügender Unterweisung und Vorbereitung vom Gemeindekirchenrat (Presbyterium) zum Abendmahl zugelassen werden.
(4) Während des Konfirmandenunterrichts und der Konfirmandenarbeit kann das Abendmahl auch schon vor der Konfirmation gefeiert werden.
(5) Getaufte Kinder können nach gliedkirchlichem Recht in Begleitung ihrer Eltern oder anderer christlicher Bezugspersonen am Abendmahl teilnehmen, wenn sie imstande sind, in der ihnen gemäßen Weise die Gabe des Abendmahls zu erfassen, und entsprechend darauf vorbereitet werden. Kinder und Ungetaufte können durch Handauflegung mit einem Segenswort in die Gemeinschaft einbezogen werden.
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Artikel 29
Abendmahl für Kranke und Sterbende

Kranken und Sterbenden soll auf Wunsch das Abendmahl zu Hause oder im Krankenhaus gereicht werden. Die Angehörigen und andere Gemeindeglieder werden zur Teilnahme eingeladen.
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Artikel 30
Abendmahl und Agape

Wird das Abendmahl im Zusammenhang einer Agape (Gemeinschaftsmahl) gefeiert, so ist es von dem Sättigungsmahl deutlich zu unterscheiden.
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4.
Kirchenmitgliedschaft

I. Wahrnehmung der Situation
Die Mitgliedschaft in der Kirche wird durch die Taufe begründet und ist durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis gekennzeichnet. Als Mitgliedschaft in einer bestimmten Gemeinde und Landeskirche richtet sie sich in der Regel nach dem Wohnsitz.
Die Kirchenmitgliedschaft ist die Grundlage für Mitwirkungsmöglichkeiten in Kirche und Gemeinde und für die Inanspruchnahme kirchlicher Dienste. Zu den förmlichen Rechten zählen vor allem das kirchliche Wahlrecht und die Befähigung zum Patenamt. Zu den Pflichten gehört, durch angemessene finanzielle Beiträge sich an der Erfüllung der kirchlichen Aufgaben zu beteiligen.
Die Kirchen in Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Mitgliederverlust erlitten. Im Westen bedurfte es bei nicht wenigen nur eines äußeren Anstoßes – wie etwa der staatlichen Einführung der Solidaritätsabgabe –, um der Kirche auch offiziell den Rücken zu kehren. Die Mitgliedschaftsstudie der EKD „Fremde Heimat Kirche“ von 1993 hat gezeigt, dass viele sich zwar als Christen verstehen, die Kirche ihnen aber als Heimat fremd geworden ist. Es ist längst nicht mehr selbstverständlich, der Kirche anzugehören.
10 Die Kirchen im Osten Deutschlands sind durch eine Jahrzehnte andauernde tiefgreifende Minderheitensituation geprägt. 11 In dem mit ideologischem Absolutheitsanspruch auftretenden Staat DDR wurde der Kirche nur eine Existenz am Rande der Gesellschaft zugestanden. 12 Ende der Achtzigerjahre gehörten in der DDR nur noch 27 % der Bevölkerung der evangelischen Kirche an. 13 Die Mehrheit war konfessionslos (65 %). 14 Die ostdeutschen Kirchen entwickelten sich zu einer Minderheitskirche in volkskirchlichen Strukturen, in der sich bekenntniskirchliche und freikirchliche Einstellungen ausprägten. 15 Trotzdem bemühte sich die Kirche, in der Gesellschaft präsent zu bleiben, zum Beispiel durch regionale Kirchentage, kirchliche Rundfunk- und Fernsehsendungen und Worte der Synoden zu Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung.
16 Die Gemeindeglieder verstehen und praktizieren ihre Kirchenmitgliedschaft auf sehr verschiedene Weise. 17 Der Gottesdienstbesuch ist allgemein niedrig. 18 Manche Gemeindeglieder besuchen so gut wie nie einen Gottesdienst, zahlen aber aus einer allgemeinen Verbundenheit zur Kirche bewusst Kirchensteuern. 19 An lebensgeschichtlich wichtigen Krisen- und Schnittpunkten wird die kirchliche Begleitung in Form von Seelsorge und Amtshandlungen gewünscht. 20 Andere Gemeindeglieder nehmen nur an bestimmten kirchlichen Veranstaltungen teil. 21 Als besondere Angebote werden kirchliche Kindertagesstätten und diakonische Einrichtungen gern in Anspruch genommen.
22 Nicht wenige, in deren Leben Kirche bisher nicht vorkam oder die der Kirche bewusst den Rücken zugekehrt haben, finden durch Kontakte zu Christen und missionarische Aktivitäten der Gemeinden (wieder) Zugang zur Kirche und entschließen sich, ihr (wieder) beizutreten. 23 Eine wichtige Hilfe dazu geben zentral eingerichtete Eintrittsstellen.
24 An verschiedenen Gemeindeveranstaltungen nehmen auch Personen teil, die der Kirche nicht angehören. 25 Es kann sich dabei um kirchliche Initiativgruppen handeln, die aktuelle und bürgernahe Ziele vertreten. 26 Auch in Vereinen, die durch Christen gegründet wurden, ist es oft nicht mehr ausschlaggebend, ob die Vereinsmitglieder zugleich Kirchenmitglieder sind. 27 Zunehmend ist auch zu beobachten, dass Menschen zwar in einem einzelnen Lebensabschnitt (Ausbildung, Studium, Elternschaft, Ruhestand) am Gemeindeleben teilnehmen, sich aber nicht für eine Kirchenmitgliedschaft entscheiden. 28 Solche Erfahrungen sind denen in Parteien oder großen Verbänden vergleichbar. 29 Besonders in den Kirchen Ostdeutschlands gehört die Begegnung mit Nichtchristen zum Alltag und wird damit zu einer wichtigen Aufgabe.
30 Durch das Zusammenwachsen Europas und internationale Beziehungen kommen verstärkt Angehörige fremder Nationen, Kulturen und Kirchen nach Deutschland. 31 In kirchlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Kindertagesstätten und Schulen treffen sie mit evangelischen Gemeindegliedern zusammen. 32 Auch diese Entwicklung ist ein Zeichen dafür, dass für die Teilnahme am kirchlichen Leben nicht mehr selbstverständlich Kirchenzugehörigkeit vorausgesetzt werden kann.
33 Mit ihrem öffentlichen Wirken, mit ihrer Verkündigung, ihren diakonischen und kulturellen Angeboten wendet sich die Kirche an alle Menschen. 34 Sie lädt öffentlich ein zu Gottesdiensten und Veranstaltungen, zu Unterweisung, zu Projekten und Gruppen. 35 Wer daran teilnehmen will, ist willkommen. 36 Christen möchten allen Menschen das Evangelium von Jesus Christus nahe bringen.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Der Begriff Kirchenmitgliedschaft geht auf die neutestamentliche Bezeichnung der Christen als Glieder am Leib Christi zurück (1. Kor 12,27). In dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass die Gemeinde nur in der Beziehung zu Jesus Christus christliche Gemeinde ist. Alle Glieder sind aufeinander angewiesen und sorgen „in gleicher Weise füreinander“ (1. Kor 12,25).
Die Begriffe Kirche und Gemeinde werden in der Bibel überwiegend im gleichen Sinne verwendet. In beiden Fällen ist ursprünglich eine gottesdienstliche Versammlung gemeint. So heißt es im 22. Psalm: „Ich will dich (Gott) in der Gemeinde rühmen“ (V. 23). Paulus übernimmt diesen Sprachgebrauch: „Wenn ihr in der Gemeinde zusammenkommt …“ (1. Kor 11,18). Mitglieder der neutestamentlichen Gemeinde sind die Christen, die sich aus gottesdienstlichem Anlass versammelt haben. Dieser Sinn von Gemeinde bleibt auch bestehen, wenn alle an einem Ort lebenden Christen als Gemeinde bezeichnet werden, zum Beispiel als „Gemeinde in Jerusalem“ (Apg 8,1). 10 Auch wenn Gemeinde zugleich die gesamte Christenheit bezeichnet, ist die Gesamtheit derjenigen gemeint, die an verschiedenen Orten zu den Versammlungen der Christen gehören.
11 Die Zugehörigkeit zur Gemeinde ist mit sichtbaren Zeichen verbunden. 12 Zu ihnen gehört das Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus: „Denn wenn du mit dem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet“ (Röm 10,9). 13 Ein entscheidendes Kennzeichen ist die Taufe, auf die alle Gemeindeglieder angesprochen werden können: „Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft …“ (1. Kor 12,13; vgl. Röm 6,3 f.). 14 Auch in der Teilnahme an den Gemeindeversammlungen, in denen das Abendmahl gefeiert, die Überlieferung weitergegeben und die Gemeinde durch „prophetische Rede“ erbaut wird, drückt sich die Zugehörigkeit zur Gemeinde aus.
15 Wie Menschen Gemeindeglieder werden, wird mehrmals in der Apostelgeschichte geschildert. 16 Nach der Pfingstpredigt des Petrus, die den Hörenden „durchs Herz“ gegangen war, heißt es: „Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tag wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen“ (Apg 2,41). 17 Von diesen wird dann gesagt: „Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apg 2,42). 18 Die Darstellung zeigt, dass die Gemeindezugehörigkeit auf einer Folge von Schritten beruhte: Auf das Hören der Christusbotschaft folgen der Glaube, die Taufe und die gelebte Gemeinschaft.
19 Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung wurde die Kindertaufe mehr und mehr die normale Form der Eingliederung in die Kirche. 20 Die mit ihr begründete Mitgliedschaft zur Kirche leitet sich her aus der stellvertretenden Entscheidung der Eltern. 21 Die persönliche und kirchlich geregelte Beitrittsentscheidung einzelner, wie sie in der Anfangszeit der Kirche üblich war, hat aber heute wieder Bedeutung gewonnen. 22 Diese Form der Eingliederung in die Kirche dürfte in Zukunft noch stärker hervortreten.
23 Dass die Taufe die Kirchenzugehörigkeit konstituiert, entspricht dem Wesen der Kirche. 24 Die Kirche verdankt sich ihrem Ursprung nach nicht dem Entschluss von Menschen, die ihr angehören, sondern dem Evangelium von Jesus Christus, das durch die Wortverkündigung und durch die Feier der Sakramente bezeugt wird. 25 Die Kirche ist ein „Geschöpf des Evangeliums“ (Martin Luther).
26 Wer Mitglied der Kirche ist, gehört damit zur universalen Gemeinschaft Jesu Christi, die Menschen aus allen Epochen, Erdteilen und Völkern umfasst. 27 Es ist schmerzliche Erfahrung, dass diese universale Gemeinschaft der Glaubenden noch keine sichtbare Einheit gefunden hat, sondern die Kirche in Konfessionen getrennt ist.
28 Kirchenmitgliedschaft ist immer konkret die Mitgliedschaft in einer bestimmten Kirche, für evangelische Christen in der evangelischen Kirche. 29 Sie ist gebunden an die Mitgliedschaft in einer bestimmten Kirchengemeinde. 30 Glieder der Brüder-Unität können zugleich Mitglieder der Brüdergemeine und einer evangelischen Landeskirche sein. 31 Im Blick auf in Deutschland lebende ausländische Christen ist anzustreben, dass mit reformatorischen Kirchen außerhalb Deutschlands vergleichbare Regelungen zur Doppelmitgliedschaft in der Heimatkirche und in der gastgebenden deutschen Gemeinde eingeführt werden.
32 Christen, die einer anderen Nation und Kirche angehören, sich aber für kürzere oder lange Zeit in unserem Land aufhalten, sind als Gäste in unseren Kirchengemeinden willkommen. 33 Sie haben die Möglichkeit, an der Vielfalt des Gemeindelebens teilzunehmen.
34 Wer zur Kirche nicht mehr gehören will, kann den Kirchenaustritt erklären. 35 Der Kirchenaustritt ist bei uns durch die staatliche Gesetzgebung geregelt. 36 Damit ist aus der Sicht des Staates garantiert, dass niemand gegen seinen Willen einer Religionsgemeinschaft angehören muss („negative Religionsfreiheit“). 37 Es ist aber Sache der Kirchen, darüber zu entscheiden, welche Wirkungen der Kirchenaustritt innerkirchlich hat.
38 Die Taufe kann weder rückgängig gemacht noch wiederholt werden. 39 Auch beim Kirchenaustritt behält sie ihre Gültigkeit. 40 Deshalb wird die Taufe bei der Wiederaufnahme Getaufter, die ausgetreten sind, ebenso wenig wiederholt wie bei der Aufnahme Getaufter, die aus einer anderen Kirche übertreten. 41 Selbst ein Austritt aus der Kirche kann den Zuspruch und Anspruch des Evangeliums nicht aufheben, der in der Taufe sichtbaren Ausdruck gefunden hat. 42 Um der Taufe willen wird sich die Gemeinde der Ausgetretenen besonders annehmen, ihnen nachgehen, sie informieren, für sie beten und sie immer wieder auch zur Rückkehr in die Kirche einladen.
43 Der Kirchenaustritt beendet die Kirchenmitgliedschaft im rechtlichen Sinn. 44 Amtshandlungen können von Ausgetretenen deshalb grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. 45 Seelsorglich begründete Ausnahmen sind vor dem Hintergrund der bleibenden Gültigkeit der Taufe jedoch in der Lebensordnung vorgesehen.
46 In der Gemeinde müssen auch Ungetaufte willkommen sein, ebenso wie die, die nur „Kirche bei Gelegenheit“ suchen. 47 Sie kommen, ohne sich binden zu wollen. 48 Auch sie haben ein Recht, dabei zu sein und ernst genommen zu werden. 49 Es gehört in die gemeindliche Verantwortung, ihnen Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen. 50 Viele Menschen, die der Kirche nicht mehr angehören oder noch nicht auf dem Weg zur Taufe sind, stehen der Botschaft und der Arbeit der Kirche dennoch positiv gegenüber und sind vielfach auch bereit, in Kirchengemeinden oder übergemeindlichen Einrichtungen oder an Projekten mitzuarbeiten. 51 Die Gemeinde wird offen sein für alle, die sich gastweise am kirchlichen Leben beteiligen wollen. 52 Die Kirchenmitgliedschaft bleibt zwar ein Ziel, darf aber nicht Bedingung für geeignete Formen der Mitarbeit sein.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 31
Präambel

Die Gliedschaft am Leibe Christi wird durch die Taufe begründet. Die Taufe ist zugleich Grundlage für die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde. Die Kirchenmitgliedschaft zu einer bestimmten Kirchengemeinde und Landeskirche richtet sich zusätzlich nach der Bekenntniszugehörigkeit und dem Wohnsitz.
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Artikel 32
Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde

(1) Wer in einer evangelischen Kirchengemeinde getauft und nicht Mitglied einer anderen evangelischen Kirche oder Gemeinschaft ist, gehört in der Regel der Kirchengemeinde des Wohnsitzes an; unter besonderen Voraussetzungen kann die Mitgliedschaft aber auch zu einer anderen Kirchengemeinde begründet werden. Mitglieder einer Kirchengemeinde gehören zugleich zu einer Landeskirche und damit auch zur Evangelischen Kirche in Deutschland.
(2) Die Kirchenmitglieder sind gehalten, die für die Wahrnehmung des Auftrages der Kirche in Verkündigung, Seelsorge und Diakonie erforderlichen Angaben zu machen. Sie sind verpflichtet, bei den staatlichen oder kommunalen Meldebehörden ihre Kirchen- und erforderlichenfalls ihre Bekenntniszugehörigkeit anzugeben.
(3) Die Zuständigkeit für kirchliche Handlungen richtet sich nach gliedkirchlichem Recht. Soll eine kirchliche Handlung von einer anderen Person als der zuständigen Pfarrerin oder dem zuständigen Pfarrer vollzogen werden, ist ein Abmeldeschein (Dimissoriale) der oder des Zuständigen erforderlich.
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Artikel 33
Umzug

(1) Beim Umzug in einen anderen Ort oder in eine andere Landeskirche setzt sich die Mitgliedschaft in der neuen Kirchengemeinde fort.
(2) Die Kirchenmitglieder sollen zu der neuen Kirchengemeinde persönlichen Kontakt aufnehmen. Auch die Gemeinde soll Kontakt zu den Zugezogenen herstellen.
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Artikel 34
Rechte und Pflichten der Kirchenmitglieder

(1) Die Kirchenmitglieder haben das Recht,
  1. am kirchlichen Leben teilzunehmen,
  2. den Dienst der Kirche in Verkündigung, Spendung der Sakramente, Amtshandlungen, Seelsorge und Diakonie in Anspruch zu nehmen,
  3. das Patenamt auszuüben,
  4. an der Urteilsbildung über die rechte Lehre Anteil zu nehmen,
  5. geordnete Dienste in der Gemeinde nach entsprechender Zurüstung auszuüben,
  6. an der Leitung der Gemeinde nach Maßgabe kirchlichen Rechts, auch durch die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, teilzunehmen.
Rechtsvorschriften, die die Ausübung kirchlicher Rechte von besonderen Voraussetzungen, insbesondere von der Zulassung zum Abendmahl, abhängig machen, bleiben unberührt.
(2) Die Kirchenmitglieder sind berufen, ein Leben unter Gottes Wort zu führen, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz das Evangelium zu bezeugen, ihre Kinder christlich zu erziehen und den Nächsten zu helfen. Sie stärken sich gegenseitig durch Fürbitte und Eintreten füreinander.
(3) Die Kirchenmitglieder sind verpflichtet, den Dienst der Kirche insbesondere durch Gebet und ehrenamtliche Mitarbeit zu unterstützen und die finanziellen Lasten ihrer Kirche durch Kirchensteuern und Gemeindebeiträge (Gemeindekirchgeld) sowie durch Opfer und Spenden mitzutragen.
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Artikel 35
Zulassung zum Abendmahl und Entzug

(1) Zum Abendmahl zugelassen ist, wer konfirmiert, im Erwachsenenalter getauft oder in die Kirche (wieder) aufgenommen wurde.
(2) Wenn ein Kirchenmitglied trotz wiederholter Ermahnung durch Wort oder Tat die Wahrheit des Evangeliums leugnet, die Kirche unglaubwürdig zu machen versucht oder die kirchliche Gemeinschaft zerstört, kann ihm die Zulassung zum Abendmahl entzogen werden. Es verliert damit zugleich die mit der Zulassung zum Abendmahl verbundenen kirchlichen Rechte. Über den Entzug der Zulassung zum Abendmahl beschließt der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium). Gegen dessen Entscheidung kann Beschwerde beim Kreiskirchenrat (Kreissynodalvorstand) eingelegt werden. Dessen Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
(3) Besteht der Grund für den Entzug der Zulassung zum Abendmahl nicht mehr, entscheidet der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) auf Antrag über die Aufhebung der Maßnahme. Ist die Maßnahme von einem anderen Gemeindekirchenrat (Presbyterium) beschlossen worden, ist dieser (dieses) zuvor anzuhören.
(4) Das gliedkirchliche Recht kann Weiteres regeln.
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Artikel 36
Aufnahme und Übertritt

(1) Die Aufnahme in die evangelische Kirche erfolgt für Ungetaufte durch die Taufe.
(2) Über die Aufnahme von Getauften, die in die evangelische Kirche eintreten oder aus einer anderen christlichen Kirche übertreten wollen, entscheidet der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) oder eine durch die Landeskirche eingerichtete oder anerkannte besondere Eintrittsstelle. Die Aufnahme setzt eine hinreichende Unterweisung im christlichen Glauben voraus.
(3) Der Übertritt aus einer anderen christlichen Kirche setzt in der Regel die Beendigung der bisherigen Mitgliedschaft durch Austritt voraus. Der Übertritt aus einer anderen Kirche zur evangelischen Kirche kann auch durch eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Kirchen geregelt werden; Gleiches gilt für den Übertritt aus der evangelischen zu einer anderen Kirche.
(4) In welcher Form die Aufnahme durchgeführt, wie sie beurkundet wird und die Aufgenommenen in die Gemeinde eingeführt werden, regelt das gliedkirchliche Recht. In der Teilnahme am Abendmahl findet die Aufnahme ihren angemessenen Ausdruck.
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Artikel 37
Beendigung der Kirchenmitgliedschaft

(1) Die Kirchenmitgliedschaft endet außer durch Tod mit Fortzug aus dem Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland, durch Übertritt zu einer anderen Kirche oder durch Kirchenaustritt.
(2) Die Kirchenmitgliedschaft bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt richtet sich nach dem Recht der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie weiteren rechtlichen Regelungen.
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Artikel 38
Kirchenaustritt

(1) Der Kirchenaustritt kann die Verheißung des Evangeliums nicht aufheben, die in der Taufe sichtbaren Ausdruck gefunden hat.
(2) Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer, die oder der von einem beabsichtigten Kirchenaustritt Kenntnis erhält, soll mit der oder dem Betreffenden ein seelsorgliches Gespräch führen oder ein geeignetes Gemeindeglied mit einem solchen Gespräch beauftragen.
(3) Wer aus der Kirche austritt, verliert die Zulassung zum Abendmahl sowie alle kirchlichen Rechte, die die Zulassung zum Abendmahl zur Voraussetzung haben. Das gilt insbesondere für das Patenamt und das kirchliche Wahlrecht. Die Ausgetretenen sollen in einem seelsorglichen Schreiben darauf hingewiesen werden.
(4) Für die Gemeinde besteht die Pflicht, Ausgetretenen nachzugehen, sie zu informieren, für sie zu beten und sie immer wieder auch zur Rückkehr in die Kirche einzuladen.
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Artikel 39
Wiederaufnahme in die Kirche

(1) Die Wiederaufnahme Ausgetretener geschieht auf Grund eines persönlichen Antrages.
(2) Über Anträge auf Wiederaufnahme von aus der Kirche Ausgetretenen entscheidet der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) oder eine durch die Landeskirche eingerichtete oder anerkannte besondere Eintrittsstelle.
(3) Die Wiederaufnahme Ausgetretener soll so gestaltet werden, dass sie den Auftrag der Kirche erkennen lässt, Menschen in die Gemeinde einzuladen. In welcher Form mit Menschen, die die Wiederaufnahme beantragen, Gespräche geführt, wie die Wiederaufnahme beurkundet und die Wiederaufgenommenen in die Gemeinde eingeführt werden, regelt das gliedkirchliche Recht. In der Teilnahme am Abendmahl findet die Wiederaufnahme ihren angemessenen Ausdruck.
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Artikel 40
Beschwerde

Lehnt der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) die Aufnahme oder Wiederaufnahme ab, können die Betroffenen Beschwerde beim Kreiskirchenrat (Kreissynodalvorstand) einlegen. Dessen Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
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Artikel 41
Gastweise Mitarbeit

(1) Wer noch nicht getauft ist oder einer anderen Kirche angehört, kann als Gast mitarbeiten.
(2) Kirchliche Einrichtungen und Kirchengemeinden können – im Rahmen der kirchlichen Ordnung – mitarbeitenden Gästen bestimmte Rechte der Beratung und Mitwirkung einräumen.
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5.
Lehren, Lernen, Konfirmation

I. Wahrnehmung der Situation
Die Familie ist nicht mehr selbstverständlich der Ort, wo durch Eltern und Paten Glaube vermittelt und im Miteinander der Generationen durch vielfältige Erfahrungen erprobt werden kann. So kommt es oft in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde und im Religionsunterricht der Schule zu einer ersten Begegnung mit der biblischen Botschaft und einem gelebten Glauben. Gespräche mit Eltern über Fragen religiöser Erziehung und die religionspädagogische, auf Lern- und Spielsituationen bezogene Arbeit in evangelischen Kindertagesstätten begleiten diese Begegnung.
Die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen will Heranwachsende zu einem altersgemäßen Verstehen und Annehmen der frohen Botschaft führen. Dabei ist es wichtig, die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen aus ihrer eigenen Sicht wahrzunehmen. Die Gemeinde lädt Kinder und Jugendliche in Gruppen, in die Christenlehre, in Gottesdienste ein, um durch altersgemäße Verkündigung die Entwicklung des Glaubens zu fördern und Gemeinschaft erfahren zu lassen. In diesen Angeboten kommen Lebensprobleme und Gegenwartsfragen im Licht der biblischen Botschaft zur Sprache. Kinder und Jugendliche entdecken in der Begegnung zwischen den Generationen, wie Christen persönlich und in dieser Gesellschaft verantwortlich vor Gott und mit Gott leben können.
Religionsunterricht am Lern- und Lebensort Schule ermöglicht unter den Bedingungen und im Rahmen des Bildungsauftrages von Schule eine Begegnung mit der biblischen Überlieferung und ein kritisches Verstehen des christlichen Glaubens, seiner Wurzeln und Lebensformen. 10 Beides geschieht in einer der jeweiligen Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen gerecht werdenden Weise. 11 Der in der öffentlichen Schule erteilte Religionsunterricht erfolgt in der Mitverantwortung der Kirche. 12 Die inhaltliche Gestaltung des evangelischen Religionsunterrichts geschieht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelischen Kirche. 13 Der in der schulischen Lebensphase den Kindern und Jugendlichen ermöglichte Religionsunterricht ist für die Entwicklung einer religiösen Identität und eines selbstverantworteten Glaubens von ähnlicher Bedeutung wie die Angebote der Gemeinde.
14 Einen besonderen Akzent erhält die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Gemeinde durch die Konfirmation. 15 Das Verständnis der Konfirmation ist im Einzelnen unterschiedlich. 16 Von ihrer geschichtlichen Entwicklung her lädt die Konfirmation zur persönlichen Annahme der Taufe ein. 17 Der vorausgehende Kirchliche Unterricht (Konfirmandenarbeit) ermöglicht den Jugendlichen die selbstverantwortete Annahme der Taufe. 18 Die Konfirmation ist dann in erster Linie Abschluss des nachgeholten Taufunterrichts und Bekenntnis. 19 Eine volkskirchliche Situation lässt demgegenüber die Konfirmation vor allem zu einer Segenshandlung in der lebensgeschichtlichen Übergangssituation von der Kindheit zum Erwachsenenalter werden. 20 Der Kirchliche Unterricht (Konfirmandenarbeit) versteht sich dann als vom Evangelium her geprägte Begleitung in einer schwierigen Lebensphase. 21 Auch spätere Ereignisse und Entwicklungen im menschlichen Leben können Anlass zur Begleitung durch die Gemeinde werden, um dadurch bewusste Glaubensentscheidungen zu ermöglichen. 22 Das geschieht nicht zuletzt im Rahmen evangelischer Erwachsenenbildung.
23 Abgesehen von den innergemeindlichen Entwicklungen ist in den westlichen Bundesländern die Konfirmation im volkskirchlichen Bewusstsein verankert. 24 Das ist in den östlichen Bundesländern, in denen die Mehrheit der Bevölkerung keiner Kirche angehört, anders. 25 Viele Jugendliche nehmen hier auf Wunsch der Eltern oder auf eigenen Wunsch an den aus der Jugendweihe entwickelten Jugendfeiern teil. 26 Obwohl die Jugendweihe ihren Ursprung u. a. in der Freidenkerbewegung hat und in der DDR im Zeichen der sozialistischen Erziehung stand, wird sie heute meist als ideologisch neutrales Familienfest an der Schwelle zum Erwachsenenalter erlebt. 27 Vorbereitung und Durchführung haben in der Regel keinen kirchenfeindlichen Charakter mehr, aber es gibt auch antikirchlich ausgerichtete Jugendfeiern.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Weil Gott den Menschen lebenslang sucht, tröstet und stärkt, umfasst das konfirmierende Handeln der Kirche das ganze Leben. Die in der Taufe von Gott geschenkte Gnade soll im Glauben angenommen werden (vgl. Röm 3,24–26). Zur Taufe gehören deshalb die Glaubensunterweisung und das Leben in der Gemeinde. Die Weitergabe und die Anleitung zum Verstehen des Glaubens gehören zu den Grundaufgaben der Gemeinde. Das konfirmierende Handeln vollzieht sich auf verschiedene Weise, jedoch immer auch als Lehre (vgl. 2. Tim. 3,16) und in didaktisch reflektierten Lernvollzügen. Denn Glaubende sollen verstehen, was sie glauben. Nach biblischem Zeugnis ist der Glaube immer in Lehr- und Lernprozessen von der älteren an die jüngere Generation weitergegeben worden (Dtn 6,20–25; Mt 28,18–20).Die Kirche versteht sich darum als eine Lerngemeinschaft, in der die Weitergabe des Glaubens zu einem Grundbestandteil der Bildung wird, die Menschen helfen soll, Leben zu gestalten und zu bewältigen.
Der Lern- und Bildungsprozess umfasst alle Lebensphasen, erfolgt im sich ständig verändernden lebensgeschichtlichen Kontext und versteht sich als Lebensbegleitung und Anstoß zur Erneuerung. 10 Die Kirche hat eine ihre Grenzen überschreitende Bildungsverantwortung, da ihre Mitglieder ihren Glauben auch in anderen sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bereichen leben und bewähren. 11 Die Kirche nimmt darum diese Verantwortung in doppelter Weise wahr: einmal in gemeindepädagogischer Hinsicht im Sinne des konfirmierenden Handelns, zum anderen durch Teilnahme an der öffentlichen Bildung.
12 Konkret vollzieht sich christliche Erziehung und Bildung auf verschiedenen Stufen und in unterschiedlichen Formen. 13 Die erste Begegnung der Kinder mit dem christlichen Glauben soll durch Eltern, Patinnen und Paten, aber auch durch die Gemeinde geschehen. 14 Es ist von großer Bedeutung, dass das heranwachsende Kind erlebt, wie der Glaube an Jesus Christus denen wichtig ist, mit denen es täglich zusammenlebt. 15 Vermittlung biblischer Geschichten, Verwendung von christlicher Literatur, Gespräche, Antworten auf Glaubensfragen, Gebet und persönliche Frömmigkeit sind dabei wichtige Formen. 16 Für diese erste Glaubensunterweisung bedürfen Eltern der Unterstützung durch die Kirchengemeinde.
17 Die Gemeinde hat die Aufgabe, durch ihre Angebote für Kinder und Jugendliche die Entwicklung des Glaubens zu fördern und die Unterweisung im Glauben fortzusetzen. 18 Dies geschieht durch die religionspädagogische Arbeit in den Kindertagesstätten, in Vorschulkreisen, in der Christenlehre und anderen Formen der Unterweisung, in Kinderbibelwochen, in Freizeiten (Rüstzeiten) und nicht zuletzt im Gottesdienst der Gemeinde, besonders in Kinder- und Familiengottesdiensten.
19 Die Christenlehre, wie sie sich in den östlichen Landeskirchen entwickelt hat, ermöglicht eine zielgerichtete Vermittlung des christlichen Glaubens im Lebensvollzug der Gemeinde und lässt durch ihre kind- und jugendgemäße Ausrichtung „das Evangelium als befreiendes und damit orientierendes Angebot erfahren, um die Welt zu verstehen, Lebenssituationen zu bestehen und mit der Gemeinde zu leben“ (Rahmenplan 1977). 20 Sie fördert am Lernort Gemeinde die christliche Sozialisation der Kinder und Jugendlichen.
21 Der Religionsunterricht in den Schulen lässt Kinder und Jugendliche biblische Überlieferung, Glauben und Lebenswirklichkeit unter den Bedingungen von Schule erfahren und kritisch verstehen. 22 Die Kirche ist mitverantwortlich für den Religionsunterricht. 23 Der evangelische Religionsunterricht erfolgt in Übereinstimmung mit dem Bekenntnis der Kirche und in ökumenischer Offenheit. 24 Er hilft den Schülerinnen und Schülern, ihre Identität im Glauben zu finden, und ermöglicht Verständigung mit anderen Glaubensangeboten und Religionen. 25 Die Kirchengemeinde begleitet und unterstützt die Arbeit der Religionslehrerinnen und -lehrer. 26 Sie pflegt darüber hinaus den Kontakt zu den Schulen in ihrem Bereich, u. a. durch Mitwirkung bei Schulgottesdiensten. 27 Sie lässt damit Kinder und Jugendliche entdecken, dass die im Religionsunterricht zur Sprache kommenden Inhalte einen konkreten Bezug im Leben der Gemeinde haben.
28 Durch den Konfirmandenunterricht bzw. die Konfirmandenarbeit eröffnet die Gemeinde den Jugendlichen die Möglichkeit, die bereits erfolgte oder beabsichtigte Taufe zu verstehen und anzunehmen. 29 Die Gemeinde bietet den Jugendlichen damit gleichzeitig an, sie in der Lebensphase des Überganges von der Kindheit zum Erwachsenenalter zu begleiten. 30 Konfirmandenunterricht bzw. Konfirmandenarbeit lassen die Jugendlichen am Leben der Gemeinde teilhaben und eröffnen ihnen Möglichkeiten des Glaubens im Zusammenhang ihrer Lebenswirklichkeit. 31 So können sie verlässliche Gemeinschaft erfahren und Gesprächspartnerinnen und -partner finden, die sie in ihrer Lebenssituation ernst nehmen und begleiten. 32 Sie werden ermutigt, ihre Erfahrungen und Fragen einzubringen, damit ein selbstständiger Glaube wachsen kann. 33 Dabei sollen sie sich mit wesentlichen Inhalten des christlichen Glaubens auseinandersetzen und eigene Verantwortung für christliches Handeln entdecken.
34 Konfirmandenunterricht bzw. Konfirmandenarbeit nehmen die Möglichkeiten des Lern- und Lebensortes Gemeinde auf. 35 So bieten sich neben dem Unterricht Freizeiten (Rüstzeiten), Zusammenarbeit mit der gemeindlichen Jugendarbeit, Praktika in der Gemeinde und kirchlichen Einrichtungen, die Beteiligung von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und -arbeitern sowie von Eltern zur Gestaltung des Konfirmandenunterrichtes bzw. der Konfirmandenarbeit an, um die Lebendigkeit des christlichen Glaubens vielfältig erfahren zu lassen. 36 Den Abschluss findet der Konfirmandenunterricht bzw. die Konfirmandenarbeit in der Konfirmation. 37 Durch sie gewinnt das konfirmierende Handeln der Kirche eine eigenständige Bedeutung für die Jugendlichen in ihrer besonderen Lebensphase.
38 Für die Konfirmation gibt es keine spezielle biblische Weisung. 39 Sie entstand als kirchliche Handlung in der Reformationszeit unter Anlehnung an das römisch-katholische Sakrament der Firmung. 40 Von ihrer Entstehung her ist die Konfirmation die Antwort auf die in der Taufe empfangene Gnade und eine Vergewisserung auf dem Glaubensweg. 41 Die Konfirmandinnen und Konfirmanden stimmen in das Glaubensbekenntnis der Kirche ein. 42 Sie empfangen unter Handauflegung Gottes Segen für ihren Lebensweg und feiern mit der Gemeinde das heilige Abendmahl. 43 Die Gemeinde erbittet für die Konfirmandinnen und Konfirmanden Gottes Geist.
44 Ungetaufte Jugendliche können im Konfirmationsgottesdienst getauft werden. 45 Dann bekennen sie vor ihrer Taufe zusammen mit den anderen Konfirmandinnen und Konfirmanden den christlichen Glauben und empfangen gemeinsam Zuspruch und Segen für den weiteren Glaubensweg. 46 Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Taufe während der Unterrichtszeit zu vollziehen. 47 Werden Erwachsene getauft, erübrigt sich die Konfirmation.
48 Mit der Konfirmation ist die Zulassung zur Teilnahme am Abendmahl in selbstständiger Verantwortung und damit das Recht zur Übernahme des Patenamtes verbunden. 49 Auch weitere kirchliche Rechte knüpfen an die Zulassung zum Abendmahl an.
50 Die vor allem in den östlichen Bundesländern angebotene Jugendfeier steht in der Tradition der Jugendweihe, die seit dem 19. Jahrhundert bewusst an die Stelle der Konfirmation gesetzt worden war und sich als Angebot für alle Jugendlichen verstand, die sich auf ein von Gott und Kirche unabhängiges, die Autonomie des Menschen betonendes Lebensverständnis einlassen wollten. 51 Das steht im Widerspruch zu einer Lebensauffassung, die durch die Zuwendung Gottes in der Taufe und den in der Konfirmation zugesprochenen Segen bestimmt ist. 52 Auch wenn die Jugendfeier dem Wunsch nach einer Familienfeier beim Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter vordergründig entgegenkommt und heute vielfach als ideologisch neutrales Familienfest erlebt wird, ist der weltanschauliche Zusammenhang nicht außer Acht zu lassen. 53 Eltern und Jugendliche sind, wenn die Teilnahme an beidem, Konfirmation und Jugendfeier, gewünscht wird, auf das unterschiedliche, sich im Grunde ausschließende Verständnis beider Angebote anzusprechen, um eine verantwortbare Entscheidung zu ermöglichen. 54 Sie bedarf einer sorgfältigen Prüfung und seelsorglichen Beratung.
  • 55 Sofern eine solche Jugendfeier (Jugendweihe) erkennbar in einem atheistischen, antikirchlichen Zusammenhang steht, besteht ein Widerspruch zur Konfirmation. 56 Konfirmandinnen und Konfirmanden sollen dann nicht an der Jugendfeier (Jugendweihe) teilnehmen.
  • 57 Handelt es sich bei der Jugendfeier um ein Schuljahrgangsfest ohne ideologische Überhöhung, wird die Beteiligung daran nicht als Verleugnung des Bekenntnisses zu Jesus Christus zu werten sein.
  • 58 Allerdings unterscheidet die persönliche Annahme der Taufe und der Zuspruch des Segens Gottes für eine neue Lebensphase die Konfirmation grundsätzlich von jeder Jugendfeier (Jugendweihe). 59 Eine gleichzeitige Teilnahme an einer Jugendfeier und an der Konfirmation stellt die Ernsthaftigkeit der Entscheidung, sich konfirmieren zu lassen, in Frage.
  • 60 Das Versagen der Konfirmation oder der Verlust kirchlicher Rechte nach erfolgter Teilnahme an einer Jugendfeier (Jugendweihe) sind unter Berücksichtigung der persönlichen Gründe in jedem Einzelfall unter seelsorglichen Gesichtspunkten zu prüfen.
61 Die Konfirmation ist kein Schlusspunkt in der Entwicklung des Glaubens, sondern will neue Glaubenserfahrungen in einer kommenden Lebensphase eröffnen. 62 Darum wird sich die Kirche weiter an die Konfirmierten wenden. 63 Sie tut das mit den Angeboten der Jugendarbeit, mit Gemeindeveranstaltungen für junge Erwachsene, mit ihren Gottesdiensten, insbesondere Jugendgottesdiensten. 64 Auf die jeweilige Lebensphase bezogene Angebote kirchlicher Erwachsenenbildung, Glaubensseminare, fortgeführter „Konfirmandenunterricht für Erwachsene“ auf Gemeindeebene haben sich bewährt. 65 Mit den Bildungsangeboten hilft die Kirche, in verschiedenen Lebensphasen und -situationen die Bedeutung biblischer Überlieferung neu zu entdecken, Orientierung zu finden und einen mündigen Glauben zu gewinnen. 66 In den oft selbst organisierten Lernprozessen Erwachsener setzt sich so das konfirmierende Handeln der Gemeinde fort.
67 Die Feiern der Silbernen und Goldenen Konfirmation sind gute Möglichkeiten der Erinnerung. 68 Die Gemeinde dankt mit ihren vor 25 oder 50 Jahren Konfirmierten für die Erfahrung der Güte Gottes und bekräftigt Anspruch und Verheißung Gottes für ihr Leben.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 42
Präambel

Getaufte Christen sollen auf ihrem Glaubensweg begleitet und gestärkt werden. Daraus ergeben sich kirchliche Handlungsfelder, auf denen die Kirche ihre Bildungsverantwortung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in altersspezifischer und situationsgerechter Weise wahrnimmt, insbesondere durch Christenlehre, Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht, Konfirmandenarbeit, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Sie hilft damit getauften Christen zu einem selbstständigen Glauben und unterstützt sie, in eigener Verantwortung als Christen zu leben und am Leben der Gemeinde teilzunehmen.
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Artikel 43
Gemeindliche Arbeit mit Kindern und Christenlehre

(1) Die gemeindliche Arbeit mit Kindern und Christenlehre haben das Ziel, Getaufte und Ungetaufte in einer ihnen gemäßen Art mit den zentralen Aussagen des christlichen Glaubens und dem Leben der Gemeinde vertraut zu machen.
(2) Die Gestaltung der gemeindlichen Arbeit mit Kindern und der Christenlehre erfolgt durch berufliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verkündigungsdienst auf der Grundlage der kirchlichen Bestimmungen.
(3) Im Rahmen des konfirmierenden Handelns der Gemeinde werden Kinder in vielfältigen Formen begleitet: durch Kindergottesdienste, Kindertagesstätten, Vorschulgruppen, Christenlehre, Kinderchor- und Instrumentalgruppen, Jungschar, Kindertage, Kinderbibelwochen und Freizeiten.
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Artikel 44
Religionsunterricht in der Schule

(1) Der Religionsunterricht in der Schule wird entsprechend den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben in der Mitverantwortung der Kirchen erteilt.
(2) Der Religionsunterricht hat die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, Grundlagen christlichen Glaubens zu verstehen, kritisch zu befragen, Antworten auf grundlegende Lebensfragen zu finden und Orientierung für ein selbstverantwortetes Handeln zu gewinnen.
(3) Die Gemeinde begleitet und unterstützt den Religionsunterricht in ihrem Bereich und die den Religionsunterricht erteilenden Lehrerinnen und Lehrer.
(4) Die Gemeinde lädt zu Schulgottesdiensten ein und beteiligt sich an Gottesdiensten der Schule. Sie pflegt Kontakt zu den Schulen in ihrem Bereich.
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Artikel 45
Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit

Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit haben das Ziel, die Konfirmandinnen und Konfirmanden in einer ihnen gemäßen Art mit den zentralen Aussagen des christlichen Glaubens und dem Leben der Gemeinde vertraut zu machen und ihnen zu helfen, in eigener Verantwortung als Christen zu leben.
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Artikel 46
Einladung und Anmeldung

(1) Die Einladung, am Konfirmandenunterricht und an der Konfirmandenarbeit teilzunehmen, richtet sich an alle getauften und ungetauften Jugendlichen zwischen in der Regel 12 und 15 Jahren.
(2) Die Jugendlichen sind durch ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten beim zuständigen Pfarramt anzumelden. Dabei wird gegebenenfalls der Taufschein vorgelegt. Religionsmündige können sich selbst anmelden.
(3) Die vorherige Teilnahme an der Christenlehre oder die Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht ist erwünscht.
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Artikel 47
Inhalte

Die Gestaltung von Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit erfolgt unter der Verantwortung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) auf der Grundlage der kirchengesetzlichen Bestimmungen und der Rahmenpläne. Zu den Inhalten gehören die Hauptstücke des jeweils geltenden reformatorischen Katechismus.
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Artikel 48
Teilnahme am Gottesdienst

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sollen am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen. Auch ihre Eltern werden dazu eingeladen. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sollen nach Möglichkeit an der Gestaltung von Gottesdiensten beteiligt werden.
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Artikel 49
Zuständigkeit und Mitarbeit

(1) Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit werden in der Regel von der zuständigen Pfarrerin oder dem zuständigen Pfarrer durchgeführt. Sie können für mehrere Pfarrbezirke oder Gemeinden gemeinsam geplant und durchgeführt werden.
(2) Sollen Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit bei einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer erfolgen, ist ein Abmeldeschein (Dimissoriale) des zuständigen Pfarramts erforderlich.
(3) Im Einvernehmen mit dem Gemeindekirchenrat (Presbyterium) sollen berufliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Gemeindeglieder, die eine pädagogische Ausbildung haben oder in angemessener Weise darauf vorbereitet wurden, für die Beteiligung an Konfirmandenunterricht und Konfirmandenarbeit gewonnen werden. Es soll ihnen ermöglicht werden, sich dafür fortzubilden.
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Artikel 50
Vorstellung der Konfirmandinnen und Konfirmanden

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden werden der Gemeinde während der Unterrichtszeit im Gottesdienst vorgestellt. Die Gemeinde soll schon während der Unterrichtszeit erfahren, was die Konfirmandinnen und Konfirmanden gelernt haben, und dabei selbst an die Hauptaussagen des christlichen Glaubens erinnert werden.
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Artikel 51
Konfirmationsgottesdienst

(1) Der Konfirmationsgottesdienst ist ein öffentlicher Gottesdienst der Gemeinde. Er wird unter Beteiligung der Konfirmandinnen und Konfirmanden, ihrer Eltern und anderer Gemeindeglieder vorbereitet und nach der Ordnung der geltenden Agende gehalten.
(2) Zur Konfirmation gehört die Einladung zur Feier des Abendmahls im Konfirmationsgottesdienst selbst oder in unmittelbarer zeitlicher Nähe.
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Artikel 52
Wirkungen

Mit der Konfirmation ist die Zulassung zum Abendmahl verbunden. Sie berechtigt damit zur Teilnahme am Abendmahl in selbstständiger Verantwortung und zur Übernahme des Patenamtes.
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Artikel 53
Voraussetzung für die Konfirmation, Zurückstellung von der Konfirmation, Bedenken, Ablehnung und Beschwerde

(1) Voraussetzung für die Konfirmation ist die Taufe.
(2) Die Konfirmation setzt ferner voraus, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden durch Teilnahme am vorangegangenen Unterricht und am gemeindlichen Leben, insbesondere am Gottesdienst, mit den Grundlagen und Lebensvollzügen des christlichen Glaubens vertraut gemacht worden sind.
(3) Hat die Pfarrerin oder der Pfarrer Bedenken, die Konfirmation zu vollziehen, ist eine Entscheidung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) herbeizuführen. Lehnt dieser (dieses) die Konfirmation ab, können die Erziehungsberechtigten oder im Fall der Religionsmündigkeit die Konfirmandin oder der Konfirmand Beschwerde beim Kreiskirchenrat (Kreissynodalvorstand) einlegen. Dessen Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
(4) Ist die Pfarrerin oder der Pfarrer entgegen der Entscheidung des Kreiskirchenrates (Kreissynodalvorstands) überzeugt, die Konfirmation nicht verantworten zu können, ist sie einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer zu übertragen.
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Artikel 54
Beurkundung und Bescheinigung

Die Konfirmation wird nach der Kirchenbuchordnung beurkundet. Über die Konfirmation wird ein Konfirmationsschein ausgestellt.
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Artikel 55
Konfirmation Erwachsener

Erwachsene Gemeindeglieder, die getauft, aber bisher nicht konfirmiert sind, können nach entsprechender Vorbereitung auf Beschluss des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) konfirmiert werden.
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Artikel 56
Weiterführung

(1) Die Gemeinde nimmt auch nach der Konfirmation weiterhin Verantwortung für die Jugendlichen wahr und macht altersgerechte Angebote von Jugendarbeit, zu denen die konfirmierten Jugendlichen eingeladen werden. Das kann in Verbindung mit anderen Gemeinden oder auf der Ebene des Kirchenkreises geschehen.
(2) Die Jugendlichen sollen Gelegenheit zur verantwortlichen Mitarbeit in der Gemeinde erhalten.
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6.
Ehe und kirchliche Trauung

I. Wahrnehmung der Situation
Partnerschaft und Familie sind von lebensgeschichtlicher und gesellschaftlicher Bedeutung. Die Situation in der Familie prägt die Entwicklung von Kindern. Partner beeinflussen einander auf ihrem Lebensweg. In allen Kulturen gibt es zum Schutz von Partnerschaft und Familie als grundlegenden Lebensvorgängen soziale Formen und rechtliche Regelungen.
Dank ihrer sozialen Bindungen und ihres rechtlichen Schutzes bildet in unserer Tradition die Ehe das Fundament für eine verlässliche Partnerschaft und tragfähige Familie. Für die evangelische Kirche ist die Ehe das Leitbild für das Zusammenleben von Mann und Frau. Die Bedeutung der Ehe kommt in einem besonderen Gottesdienst, der kirchlichen Trauung, zum Ausdruck.
In vielfältiger Weise wird die Ehe in unserer Zeit in Frage gestellt. Andere Partnerschaftsformen werden gesucht und als gleichwertig betrachtet. 10 Eine große Zahl von Menschen geht wechselnde Partnerschaften ein. 11 Zahlreiche Ehen scheitern.
12 Viele junge Menschen suchen jedoch eine feste und dauerhafte Lebenspartnerschaft und wünschen sich Kinder. 13 Psychologie und Pädagogik bestätigen, dass das Aufwachsen von Kindern verlässliche Lebensbedingungen braucht. 14 Tragfähige Beziehungen sind in allen Lebensphasen wichtig. 15 Auch wenn die Mehrzahl aller Kinder in Familien mit Vater und Mutter aufwachsen, bestehen manche Familien nur aus einem Elternteil mit einem oder mehreren Kindern. 16 Oft bilden sich auch Familien mit Kindern von unterschiedlichen Vätern und Müttern. 17 Die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt – vor allem in den Großstädten – zu. 18 Das Rollenverständnis von Frauen und Männern hat sich tiefgreifend verändert.
19 Darüber hinaus vollzieht sich in unserer Gesellschaft ein demographischer Wandel. 20 Der Anteil der über 60-jährigen wird stetig bis auf mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung anwachsen, die Zahl der Hochbetagten sich verdoppeln. 21 Auf Grund der steigenden Lebenserwartung werden von Frauen und Männern im „dritten Lebensalter“ auch neue Partnerschaften eingegangen; gleichzeitig ist die Zahl der Zweitehen im höheren Lebensalter insgesamt rückläufig. 22 Es kommt häufig aus materiellen Erwägungen, zum Beispiel wegen des befürchteten Verlustes eines Versorgungsanspruchs, nicht zur Eheschließung. 23 Auch entdecken Ältere zunehmend nichteheliche Lebensgemeinschaften als alternative Form der Versorgung.
24 Immer wieder wird der Wunsch nach einer kirchlichen Segenshandlung für eine nicht standesamtlich vollzogene Lebensgemeinschaft von Frau und Mann geäußert. 25 Eine kirchliche Segenshandlung für eheähnliche Lebensgemeinschaften gibt es im Raum der evangelischen Kirche bisher jedoch nicht. 26 Eine kirchliche Trauung ist rechtlich nur zulässig, wenn ihr eine standesamtliche Eheschließung vorausgegangen ist.
27 Auch der Wunsch nach Segnung homosexueller Menschen oder ihrer Partnerschaft ist in den letzten Jahren ausgesprochen worden. 28 Dieser Wunsch wird teils von homosexuell geprägten Menschen selbst geäußert, teils von anderen, die sich für deren Anliegen einsetzen. 29 Der Wunsch nach Segnung ist in sich nicht einheitlich und erwächst aus unterschiedlichen Motiven und Zielsetzungen. 30 Einige Landeskirchen haben sich mit diesem Wunsch bisher befasst, andere noch nicht. 31 Die Meinungsbildung ist nicht abgeschlossen.
32 Nie zuvor gab es einen so großen Spielraum für die persönliche Wahl einer Lebensform wie in unserer Gesellschaft. 33 Das mutet den Einzelnen unter Umständen Entscheidungen zu, von denen sie niemand entlasten kann. 34 Sie können aber von ihrer Kirche erwarten, dass sie ihnen Maßstäbe an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie ihre Wünsche und Absichten überprüfen können.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Im ersten Buch Mose wird in den beiden Berichten über die Schöpfung (Gen 1 und 2) die Bestimmung der Menschen zur Gemeinschaft ausgedrückt. Die Gemeinschaft von Mann und Frau ist Urbild aller Lebensgemeinschaft. Gottes Jawort zu seiner Schöpfung, seine Verheißungen für sie und seine Gebote (Ex 20; Mt 22,34–40) gelten für alle Menschen.
Alle Gestalten des Verhältnisses von Mann und Frau wie deren Bewertung unterliegen dem geschichtlichen Wandel. Sie sind abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen und persönlichen Bedingungen.
Auch die Ehe als institutionalisierte Gestalt des Miteinanders von Mann und Frau hat im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhängen verschiedene Ausprägungen angenommen. Gott hat mit der Ehe die Verheißung verbunden, Gemeinschaft zu stiften und Leben zu erhalten.
In der Ehe binden sich Mann und Frau aneinander auf Lebenszeit. „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ (Mt 19,6).
10 Schon die Urchristenheit kennt jedoch auch die Ehelosigkeit um des Glaubens willen (1. Kor 7,7). 11 Formen kommunitärer Ehelosigkeit begleiten die Geschichte der Kirche bis heute. 12 Beispiele dafür sind christliche Schwesternschaften und Bruderschaften.
13 Ehe und Familie sind keine Räume heilen Lebens. 14 Darum stellt Gott sie in den Zehn Geboten unter seinen Schutz. 15 Weil menschliches Verhalten die Gemeinschaft und die Weitergabe des Lebens immer wieder gefährdet, gibt es schon in der Bibel den Rechtsschutz für Ehe und Familie. 16 Dabei unterliegen die Ordnungen im Einzelnen dem geschichtlichen Wandel.
17 Neben Regeln und Grenzen zeigt uns die Bibel aber vor allem die heilenden Kräfte für das menschliche Miteinander. 18 Ehe und Familie leben nach biblischem Verständnis von der Bereitschaft zur Versöhnung.
19 Die Ehe wird durch das Treueversprechen von Frau und Mann geschlossen. 20 Dies geschieht nach unserer Rechtsordnung vor dem Standesamt.
21 Wo Paare sich auf Dauer aneinander binden, ist es konsequent, dass sie auch die Rechtsfolgen bejahen, die sich aus einer Eheschließung nach unserer Rechtsordnung ergeben. 22 Die Ehe ist eine Lebensform mit hoher sozialer Verantwortung. 23 Die evangelische Kirche bejaht den Schutz von Ehe und Familie in der Verfassung und der Gesetzgebung.
24 Die Kirche lädt dazu ein, die Ehe im Namen Gottes zu beginnen und die eheliche Gemeinschaft unter den gnädigen Willen Gottes zu stellen. 25 Die Gemeinde nimmt daran teil, wenn Eheleute für ihre Gemeinschaft um Gottes Segen bitten.
26 In der Trauung werden in Schriftlesung und Predigt das Gebot und die Verheißung Gottes für die Ehe verkündigt. 27 Die Eheleute versprechen, einander anzunehmen und füreinander einzustehen, solange sie leben. 28 Ihnen wird der Segen Gottes zugesprochen. 29 Im Gebet bittet die Gemeinde Gott, dass die Eheleute beieinander bleiben und sich auch in Zeiten vertrauen, in denen dies schwer fällt. 30 Im Traugottesdienst kann das Abendmahl gefeiert werden.
31 Bei der Trauung wird in der Regel vorausgesetzt, dass beide Eheleute einer christlichen Kirche angehören und wenigstens ein Ehepartner Mitglied der evangelischen Kirche ist. 32 Der Trauung geht ein Traugespräch voraus, in dem an Zuspruch und Anspruch des Evangeliums für das gemeinsame Leben erinnert wird.
33 In einer Situation größerer ökumenischer Offenheit haben die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland 1971 die Möglichkeit einer gemeinsamen Trauung konfessionsverschiedener Paare eröffnet, auch wenn unterschiedliche Eheverständnisse noch nicht überwunden sind. 34 Die Trauung folgt entweder dem katholischen oder dem evangelischen Trauritus unter Beteiligung der zur Trauung Berechtigten beider Kirchen.
35 Zunehmend kommt es auch zu Eheschließungen, bei denen die Ehefrau oder der Ehemann keiner christlichen Kirche angehört (1. Kor 7,12–14). 36 Wenn die oder der nicht der Kirche Angehörende Offenheit gegenüber der christlichen Botschaft erkennen lässt, kann ein Gottesdienst zur Eheschließung nach einer eigenen liturgischen Ordnung gefeiert werden.
37 Weil Ehe und Familie in einer Welt gefährdeter und auch zerbrechender Beziehungen gelebt werden, beschränkt sich der Dienst der Gemeinde nicht auf Traugespräch und Traugottesdienst. 38 Es sollen regelmäßig Gesprächsmöglichkeiten zu Fragen von Ehe und Familie angeboten werden. 39 Die Eheleute sollen in Krisen nicht allein bleiben, sondern das Gespräch und die Beratung suchen. 40 Die Gemeinde bezieht die getrauten Eheleute in vielfältiger Weise in ihre Angebote ein. 41 Ergänzend zur Einzelseelsorge gehören dazu Ehepaar- oder Elternkreise, Familiengottesdienste und Gemeindefeste. 42 Für Kinder werden Angebote christlicher Orientierung, etwa in Kindertagesstätten, in der Christenlehre, in Kinder- und Jugendgruppen, gemacht. 43 Auch die Ehejubiläen sind Möglichkeiten, für die Ehe zu danken und zu ihr erneut zu ermutigen.
44 Es bedeutet keine Infragestellung des Leitbildes Ehe, wenn Christen aus ernstzunehmenden Gründen andere Formen der Lebensgestaltung wählen. 45 Menschen können zum Beispiel auch auf Ehe und Familie verzichten, um auf bestimmten Gebieten ihre besondere Begabung zu entfalten oder ihr Leben ganz im Dienst der Nächstenliebe oder des Glaubens einzusetzen.
46 Ein solcher Verzicht kann sich ebenso aus der Einsicht in die eigenen Möglichkeiten und Grenzen ergeben. 47 Es gibt Situationen, wo durch die persönliche Vorgeschichte oder Veranlagung die Lebensform der Ehe nicht verantwortlich gewählt werden kann. 48 Sexuelle Prägungen, wie zum Beispiel Homosexualität, können eigene Formen verantwortlicher Lebensgestaltung fordern.
49 Menschen, die nicht in traditionellen Partnerschaftsformen leben, dürfen keine Abwertung oder Diskriminierung erfahren. 50 Die evangelische Kirche ist bestrebt, allen Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen nicht mit Verurteilungen, sondern mit Verständnis und Annahme zu begegnen.
51 Ob der Bitte um eine kirchliche Segenshandlung für Menschen in eheähnlichen oder homosexuellen Lebensgemeinschaften entsprochen werden kann, ist umstritten. 52 Die Seelsorge an Menschen in einem eheähnlichen oder homosexuellen Lebensverhältnis kann in einem persönlichen Segenszuspruch ihren Ausdruck finden. 53 Damit ist keine Institutionalisierung von Lebensgemeinschaften neben der Ehe oder als Alternative zu ihr verbunden. 54 Der Leitbildcharakter von Ehe und Familie darf nicht undeutlich gemacht werden.
55 Wenn junge Menschen sich in Freundschaften und frühen Partnerschaften finden, nehmen sie sich Zeit, ehe sie sich für eine Bindung entscheiden. 56 Lange Ausbildungszeiten und Probleme der Identitätsfindung sind gute Gründe dafür, dass junge Menschen vorsichtig sind, sich zu binden. 57 Es hat sich eine Form des Zusammenlebens junger Paare entwickelt, die durch Liebe und Verantwortung füreinander geprägt ist, aber im Blick auf die Dauer sich die Entscheidung noch offen hält. 58 Wie alle Partnerschaften ist auch diese Bindung auf Zeit voller Risiken. 59 Die Einstellung, sich vor einer Bindung gründlich zu prüfen, verdient Respekt und kann sich aus der Bejahung des Leitbildes von Ehe und Familie ergeben.
60 Aus vielen Gründen kann das ehrliche Vorhaben scheitern, Partnerschaft in der Ehe zu gestalten. 61 Die Entscheidung für eine notwendige Scheidung muss von den Partnern verantwortlich getroffen werden. 62 In der schmerzlichen Phase der Trennung, die oft mit gegenseitigen Verletzungen einhergeht, ist eine seelsorgliche Begleitung in besonderer Weise notwendig. 63 Scheidung geschieht in der Regel nicht ohne Schuld, aber auch diese Schuld kann vergeben werden. 64 Aufgabe der Kirche ist es, die sich trennenden Ehepartner und die Geschiedenen seelsorglich zu begleiten. 65 Kinder bedürfen in solchen Lebenszusammenhängen des Schutzes und der praktischen Hilfe durch die Gemeinde. 66 Auch nach der Scheidung der Ehe schließt die evangelische Kirche eine erneute Trauung grundsätzlich nicht aus.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 57
Präambel

Die kirchliche Trauung ist eine gottesdienstliche Handlung, in der die eheliche Gemeinschaft unter Gottes Gebot und Verheißung gestellt wird. Deshalb beginnen Christen ihren Ehestand mit der kirchlichen Trauung. Dabei bringen die Eheleute zum Ausdruck, dass sie einander aus der Hand Gottes in Liebe annehmen und ihr Leben lang beieinander bleiben wollen. Die Gemeinde erbittet für die Eheleute Gottes Beistand und Segen.
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Artikel 58
Traugespräch

Vor der Trauung führt die Pfarrerin oder der Pfarrer mit den Eheleuten ein Traugespräch, dessen wesentlicher Inhalt die Aussagen des christlichen Glaubens zur Ehe sind. Auch Inhalt und Ablauf des Traugottesdienstes kommen dabei zur Sprache.
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Artikel 59
Traugottesdienst, Abkündigung und Fürbitte

(1) Die Trauung wird nach der Ordnung der geltenden Agende gehalten.
(2) Die Trauung wird der Gemeinde im Sonntagsgottesdienst bekannt gegeben. Die Gemeinde hält für die Eheleute Fürbitte.
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Artikel 60
Voraussetzungen für die Trauung

(1) Eine Trauung wird nur gehalten, nachdem die Eheschließung nachgewiesen worden ist.
(2) Voraussetzung der Trauung ist, dass die Eheleute einer christlichen Kirche angehören und entweder die Ehefrau oder der Ehemann Mitglied der evangelischen Kirche und zum Abendmahl zugelassen ist.
(3) Gehört die Ehefrau oder der Ehemann der katholischen Kirche an, kann der Traugottesdienst entweder nach dem evangelischen oder nach dem katholischen Trauritus unter Beteiligung der zur Trauung Berechtigten beider Kirchen erfolgen.
(4) Gehört die Ehefrau oder der Ehemann keiner christlichen Kirche an, kann nach einer eigenen liturgischen Ordnung ein Gottesdienst zur Eheschließung gefeiert werden, wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch des evangelischen Ehepartners entspricht, der andere Ehepartner zustimmt und sich bereit erklärt, das christliche Verständnis der Ehe zu achten. Sofern es das gliedkirchliche Recht zulässt, kann auch ein Traugottesdienst gefeiert werden. Für den Gottesdienst zur Eheschließung gelten die Bestimmungen über die Trauung entsprechend.
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Artikel 61
Ablehnungsgründe

(1) Die Trauung kann abgelehnt werden, wenn Anzeichen dafür vorhanden sind, dass das Trauversprechen kein ernstes Anliegen vor Gott ist.
(2) Die Trauung soll abgelehnt werden, wenn die Ehefrau oder der Ehemann den christlichen Glauben offenkundig leugnet oder verächtlich macht.
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Artikel 62
Bedenken gegen die Trauung, Ablehnung und Beschwerde

(1) Hat die Pfarrerin oder der Pfarrer Bedenken gegen die Trauung oder gegen einen Gottesdienst zur Eheschließung, ist eine Entscheidung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) herbeizuführen. Lehnt dieser (dieses) die Trauung oder einen Gottesdienst zur Eheschließung ab, können die Betroffenen Beschwerde beim Kreiskirchenrat (Kreissynodalvorstand) einlegen. Dessen Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
(2) Ist die Pfarrerin oder der Pfarrer entgegen der Entscheidung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) oder des Kreiskirchenrates (Kreissynodalvorstandes) überzeugt, die Trauung oder einen Gottesdienst zur Eheschließung nicht verantworten zu können, ist die Handlung einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer zu übertragen.
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Artikel 63
Zuständigkeit

(1) Die Trauung oder einen Gottesdienst zur Eheschließung hält die Pfarrerin oder der Pfarrer der Kirchengemeinde, zu der die Ehefrau oder der Ehemann gehört oder nach der Eheschließung gehören wird.
(2) Soll die Trauung oder ein Gottesdienst zur Eheschließung von einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer gehalten werden, ist ein Abmeldeschein (Dimissoriale) des zuständigen Pfarramts erforderlich. Dessen Erteilung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, aus denen eine Trauung abgelehnt werden kann.
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Artikel 64
Beurkundung und Bescheinigung

(1) Die Trauung wird in das Kirchenbuch der Kirchengemeinde eingetragen, in der sie stattgefunden hat. Die Wohnsitzkirchengemeinde ist zu benachrichtigen. Besteht die Mitgliedschaft zu einer anderen als der Wohnsitzkirchengemeinde, ist auch diese zu benachrichtigen.
(2) Über die Trauung wird eine Bescheinigung ausgestellt.
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7.
Bestattung, Sterbe- und Trauerbegleitung

I. Wahrnehmung der Situation
Die Erfahrung des Sterbens ist Teil des Lebens. Die täglichen Bilder von Tod und Sterben in den Medien gehören zum Alltag. Andererseits vollzieht sich das Sterben von Menschen oft in der Anonymität von Krankenhäusern. Angesichts des Todes entsteht in besonderer Weise das Bedürfnis nach religiöser Orientierung. Die Betroffenen suchen Trost und Begleitung.
Alte und kranke Menschen, die ihren Tod vor Augen haben, hoffen auf ein Sterben in Würde, möglichst in vertrauter Umgebung. Sie fürchten sich vor der Einsamkeit des Sterbens und den Problemen, die mit der fortschreitenden Medizintechnik und ihren ständig verbesserten Möglichkeiten zu lebensverlängernden Maßnahmen verbunden sind. Auch die Auseinandersetzung mit der Frage der Zustimmung zu einer Organtransplantation bedrängt viele.
Insbesondere alleinlebende Menschen erfahren in dieser Lebensphase oft tiefe Einsamkeit und Verlassenheit. 10 Aber auch Menschen, die in einer Familie leben, können nicht ohne Weiteres damit rechnen, von ihren Angehörigen gepflegt und betreut zu werden; denn die Angehörigen sind vielfach mit der Pflege und Begleitung des sterbenden Menschen überfordert.
11 In dieser Situation nimmt die Gemeinde eine wichtige Aufgabe wahr. 12 Sie begleitet die Sterbenden und ihre Angehörigen, tröstet sie durch Gottes Wort und durch persönliche Zuwendung, unterstützt sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Betreuung und steht den Angehörigen in ihrer Trauer bei. 13 Auch die Hospizbewegung hat hier eine wichtige Funktion.
14 In der kirchlichen Bestattung werden Tod und Trauer in das Licht von Verheißung und Trost des Wortes Gottes gestellt, und es wird bezeugt, dass Gottes Macht größer ist als der Tod. 15 Bei kirchlichen Bestattungen hören viele Menschen die christliche Deutung des Todes und erfahren, wie Christen mit Trauer und Sterben umgehen.
16 Anknüpfend an biblische Vorbilder war die Erdbestattung seit dem 2. Jahrhundert die allgemein übliche Bestattungsform. 17 Heute sind Einäscherungen mit der Beisetzung der Urne auf dem Friedhof weit verbreitet; gelegentlich – und zumeist regional bedingt – wird die Urne auf See beigesetzt. 18 Da diese Bestattungsformen im Allgemeinen nicht gegen den Glauben gerichtet sind, werden in ihrem Zusammenhang Gottesdienste gefeiert.
19 Heute sieht sich die Gemeinde zunehmend dem Wunsch nach einer sogenannten anonymen Bestattung gegenüber, etwa weil keine Angehörigen vorhanden sind oder die Sterbenden ihre Angehörigen nicht mit der Grabpflege belasten wollen.
20 Zur kirchlichen Bestattung gehört die nachgehende Seelsorge mit Besuchen bei den Hinterbliebenen und dem Gedenken an die Verstorbenen im Gottesdienst.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Die christliche Gemeinde glaubt, dass alles Leben aus der Hand Gottes kommt. Wenn sie Abschied von einem verstorbenen Gemeindeglied nimmt und es der Gnade Gottes befiehlt, wird sie im Gottesdienst zur Bestattung dieses einzelne individuelle Leben so bedenken, wie es von Gott geleitet und beendet worden ist. Das Leben des verstorbenen Gemeindeglieds ist nicht Inhalt der Verkündigung, aber dieser Gottesdienst geschieht im Gedenken an den verstorbenen Menschen. Die ihm von Gott verliehene Würde lässt ihn auch im Tod nicht namenlos sein. Die Trauernden und die Gemeinde werden daran erinnert, dass Gott das jetzt beendete Leben gewollt hat. Um der Auferstehung Jesu Christi willen ist Gottes Geschichte mit diesem Menschen nicht zu Ende. Der Gottesdienst zur Bestattung erinnert an die Liebe Gottes, von der uns auch der Tod nicht trennen kann (Röm 8,38 f.), und an den in diese Liebe eingeschlossenen verstorbenen Menschen.
Von Anfang an hat die christliche Gemeinde ihre verstorbenen Glieder zur letzten irdischen Ruhe geleitet und sich derjenigen Glieder besonders angenommen, die durch den Tod eines Angehörigen oder nahestehenden Menschen getroffen waren. Die Gemeindeglieder sollen in einer bedrängenden Situation erfahren, dass sie nicht alleingelassen sind. 10 Die Gemeinde wird hingewiesen auf das Evangelium vom Tod und von der Auferstehung Jesu Christi. 11 In der kirchlichen Handlung anlässlich einer Bestattung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der auferstandene Christus „dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium“ (2. Tim 1,10). 12 Im Gottesdienst der Gemeinde soll angesichts von Trauer, Ohnmacht und Ratlosigkeit die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten bezeugt werden. 13 Zugleich will die Gemeinde damit sagen, dass sie mit den Weinenden weint, wie sie sich mit den Fröhlichen freut (vgl. Röm 12,15).
14 Christen bekennen, dass Gott sie bei ihrem Namen gerufen hat. 15 Deshalb ist eine kirchliche Bestattung immer mit der Nennung des Namens der Toten verbunden. 16 Damit wird ein Zeichen für die je eigene Würde eines Menschen und für die in Christus fortgeführte Gemeinschaft aller Christen gesetzt. 17 Dies ist in den Gemeinden immer wieder grundsätzlich zu bedenken, um entgegengerichteten Entwicklungen zur Anonymität in der Bestattungspraxis wirksam begegnen zu können.
18 Das kirchliche Handeln im Zusammenhang mit Tod und Sterben eines Gemeindegliedes darf sich nicht auf die kirchliche Bestattung beschränken. 19 Die Gemeinde wird gerade im Zusammenhang von Sterben und Tod die Seelsorge als ihre Aufgabe neu erkennen müssen, auch zum Beispiel durch das Angebot des Haus- und Krankenabendmahls. 20 Sie wird darum bemüht sein, Formen nachgehender Seelsorge und Trauerbegleitung zu entwickeln. 21 Dazu können insbesondere Besuchsdienste, Einladungen zu besonderen Gottesdiensten oder Gemeindeveranstaltungen und Trauergruppenarbeit gehören. 22 Damit folgt die Gemeinde dem Auftrag des Neuen Testaments, „die Witwen und Waisen in ihrer Trübsal zu besuchen“ (Jak 1,27).
23 Durch die Gestaltung und Pflege ihrer Friedhöfe gibt die Gemeinde Zeugnis des Glaubens und der Hoffnung über den Tod hinaus.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 65
Präambel

Die kirchliche Bestattung ist eine gottesdienstliche Handlung, bei der die Gemeinde ihre verstorbenen Glieder zur letzten Ruhe geleitet, sie der Gnade Gottes befiehlt und bezeugt, dass Gottes Macht größer ist als der Tod. In der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer bedenkt die Gemeinde Leben und Sterben im Lichte des Evangeliums und verkündigt die Auferstehung der Toten. Die Gemeinde begleitet die Sterbenden und trauert mit den Hinterbliebenen. Sie tröstet sie mit Gottes Wort und begleitet sie mit Seelsorge und Fürbitte.
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Artikel 66
Gespräch mit den Angehörigen

Vor der Bestattung führt die Pfarrerin oder der Pfarrer mit den Hinterbliebenen ein seelsorgliches Gespräch, bei dem auch Inhalt und Ablauf des Gottesdienstes zur Sprache kommen.
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Artikel 67
Bestattungsgottesdienst, Abkündigung und Fürbitte

(1) Der Bestattungsgottesdienst wird nach der Ordnung der geltenden Agende gehalten.
(2) Im Sonntagsgottesdienst werden die Verstorbenen namentlich genannt. Die Gemeinde befiehlt sie in Gottes Hand und hält Fürbitte für die Trauernden. Es ist eine gute Sitte, sich am letzten Sonntag des Kirchenjahres noch einmal besonders der im vergangenen Jahr Verstorbenen zu erinnern und sich all denen zuzuwenden, die um sie trauern.
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Artikel 68
Voraussetzungen für die kirchliche Bestattung

(1) Die kirchliche Bestattung setzt grundsätzlich voraus, dass die oder der Verstorbene der evangelischen Kirche angehörte.
(2) Ungetaufte und totgeborene Kinder sollen auf Bitte der Eltern kirchlich bestattet werden.
(3) Gehörte die oder der Verstorbene einer anderen christlichen Kirche an, so kann die kirchliche Bestattung nur im Ausnahmefall erfolgen. Zuvor soll versucht werden, mit der Pfarrerin oder dem Pfarrer der anderen Kirche Kontakt aufzunehmen.
(4) Die kirchliche Bestattung von Verstorbenen, die keiner christlichen Kirche angehörten, kann in Ausnahmefällen geschehen,
  1. wenn die evangelischen Angehörigen den Wunsch nach einer kirchlichen Bestattung geäußert haben und andere Formen des Gedenkens und der kirchlichen Begleitung aus seelsorglichen Gründen nicht angemessen sind,
  2. wenn das Verhältnis der Verstorbenen zur Kirche und der Gemeinde so war, dass eine kirchliche Bestattung zu verantworten ist,
  3. wenn möglich ist, während der Trauerfeier aufrichtig gegenüber den Verstorbenen und ihrem Verhältnis zur Kirche zu sein, und
  4. wenn die seelsorgliche Entscheidung vor der Gemeinde verantwortet werden kann.
Bei der Entscheidungsfindung berät sich die Pfarrerin oder der Pfarrer mit den erreichbaren Mitgliedern des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) und berücksichtigt das im Kirchenkreis übliche Verfahren.
(5) Die Entscheidung für eine kirchliche Bestattung von Verstorbenen, die keiner christlichen Kirche angehörten, soll eine Form der Bestattung nach sich ziehen, die der Agende folgt. Dabei gibt es keine Einschränkungen in der äußeren Form (Amtstracht, Glocken).
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Artikel 69
Bedenken gegen die Bestattung, Ablehnung und Beschwerde

(1) Hat die Pfarrerin oder der Pfarrer Bedenken gegen eine kirchliche Bestattung, soll das Gespräch mit Mitgliedern des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) gesucht werden. Gegen die Ablehnung der kirchlichen Bestattung können die Betroffenen bei der Superintendentin oder dem Superintendenten (der Kreisoberpfarrerin oder dem Kreisoberpfarrer) Beschwerde einlegen. Die Entscheidung über die Beschwerde ist endgültig.
(2) Ist die Pfarrerin oder der Pfarrer entgegen der Entscheidung der Superintendentin oder des Superintendenten (der Kreisoberpfarrerin oder des Kreisoberpfarrers) überzeugt, die kirchliche Bestattung nicht verantworten zu können, ist sie einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer zu übertragen.
(3) Wird eine kirchliche Bestattung abgelehnt, nimmt sich die Pfarrerin oder der Pfarrer gleichwohl der Angehörigen seelsorglich an.
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Artikel 70
Zuständigkeit

(1) Die kirchliche Bestattung hält die Pfarrerin oder der Pfarrer der Kirchengemeinde, der die oder der Verstorbene angehört hat.
(2) Soll die kirchliche Bestattung von einer anderen Pfarrerin oder einem anderen Pfarrer gehalten werden, ist ein Abmeldeschein (Dimissoriale) des zuständigen Pfarramts erforderlich. Dessen Erteilung darf nur aus Gründen abgelehnt werden, aus denen eine kirchliche Bestattung abgelehnt werden kann.
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Artikel 71
Beurkundung und Bescheinigung

(1) Die kirchliche Bestattung wird in das Register der Kirchengemeinde eingetragen, in der sie stattgefunden hat. Die Kirchengemeinde, der die oder der Verstorbene angehört hat, ist zu benachrichtigen.
(2) Über die Bestattung kann den Angehörigen eine Bescheinigung ausgestellt werden.
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Artikel 72
Begleitung der Sterbenden und Trauernden

(1) Zum kirchlichen Handeln im Zusammenhang mit dem Sterben eines Gemeindeglieds gehören die Sterbe- und Trauerbegleitung. Mit diesem Dienst wirkt die Gemeinde der Verdrängung des Todes entgegen.
(2) Die Gemeinde begleitet die Angehörigen. Sie hilft mit Zuspruch und befähigt zur Begleitung von Sterbenden. Dabei unterstützt sie alles, was ein würdevolles Sterben ermöglicht.
(3) Zur nachgehenden Seelsorge an den Hinterbliebenen können insbesondere Besuchsdienste, Trauergruppen, Einladungen zu besonderen Gottesdiensten sowie andere Gemeindeveranstaltungen gehören.
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8.
Seelsorge und Beichte

I. Wahrnehmung der Situation
Viele Menschen wünschen sich heute vor allem eine seelsorgliche Kirche. Sie erwarten Seelsorge als Hilfe in Krisen- oder Notsituationen und als begleitende Unterstützung ihrer Lebensgestaltung und erhoffen von der Kirche Sinngebung unabhängig davon, ob sie eine enge, lose oder gar keine Beziehung zur Kirche haben. Sie setzen voraus, in ihrer Persönlichkeit und Lebensführung geachtet zu werden. Viele Menschen sehen in der Seelsorge das, was die Kirche von anderen Institutionen unterscheidet und ihr Existenzberechtigung gibt. Als Zeichen der Glaubwürdigkeit soll auch innerkirchlich ein seelsorglicher Umgang gepflegt werden, selbst bei Streitigkeiten und in Krisenfällen.
Für die Kirche sind diese Erwartungen eine große Herausforderung. Seit ihren Anfängen versteht sie Seelsorge als ihre ureigene Aufgabe. Seelsorge ist eine unverzichtbare Wesens- und Lebensäußerung der Kirche. Sie ist notwendige Grundhaltung aller kirchlichen Arbeit.
10 Die Kirche sieht sich mit einer Vielfalt seelsorglicher Aufgaben konfrontiert. 11 Bei vielen Menschen ist eine zwiespältige seelische Grundstimmung zu beobachten. 12 Neben der Betonung eines Rechts auf Lebensgenuss gibt es eine tief gehende Neigung zur Depressivität. 13 Manchen fehlt nicht nur das tragende Vertrauen zu einer Person oder zu einer Instanz, sondern sie bezweifeln überhaupt, dass Vertrauen möglich ist. 14 Das Vorherrschen des pragmatischen Denkens und die Skepsis gegen jede Metaphysik haben in der modernen Industriegesellschaft zu wissenschaftlichen Erfolgen und wirtschaftlichem Fortschritt geführt. 15 Sie haben jedoch auch ein großes Defizit hinterlassen: die Erfahrung von Sinnverlust und eine Sehnsucht nach dem, was das Leben trägt und übergreift. 16 Die Schnelllebigkeit der Lebensverhältnisse führt zu Beziehungsproblemen, die der Klärung bedürfen.
17 Eine andere seelsorgliche Herausforderung ergibt sich aus dem Zusammenhang von erlebter Geschichte und Glaube in der persönlichen Biografie eines Menschen und aus der Bedeutung von Schuld und Verantwortung für das Dasein einer Gemeinschaft. 18 Geschichte wird persönlich als Widerfahrnis, als „Schicksal“, erlebt und zugleich als Feld der eigenen Verantwortung. 19 Geschichtliche Erfahrungen zu deuten, ist eine schwierige, aber unausweichliche Herausforderung der allgemeinen und speziellen Seelsorge. 20 Ohne Selbstprüfung, Schulderkenntnis und Vergebung kann eine schuldhafte Vergangenheit nicht bewältigt werden. 21 Das zeigt die Beschäftigung mit der jüngeren deutschen Geschichte deutlich.
22 Christen üben Seelsorge zur Bewahrung und Vergewisserung des Glaubens an Gott in den konkreten Lebensvollzügen der Menschen. 23 Seelsorge will zu einem im Glauben bejahten Leben helfen. 24 Sie stärkt das Vertrauen auf das Evangelium als Grundlage für ein Leben in und aus dem Heil, das Gott in Jesus Christus wirkt. 25 Sie steht den Menschen in Zweifel, Irrtum und Leiden bei. 26 Bei ihrem seelsorglichen Dienst ist sich die Kirche bewusst, dass nicht bei allen, die Seelsorge suchen, der Glaube als Horizont der Lebensdeutung und Konfliktbewältigung vorausgesetzt werden kann.
27 Jeder Christ kann einem anderen Menschen zur Seelsorgerin oder zum Seelsorger werden. 28 Nach evangelischem Verständnis geschieht Seelsorge somit gerade auch abseits von spezieller beruflicher Qualifikation. 29 In alltäglichen Begegnungen nehmen Christen ihre Mitmenschen wahr, reden mit ihnen und ermutigen sie aus ihrem Glauben heraus. 30 Solche Seelsorge bedarf oft nur weniger Worte.
31 Daneben geschieht Seelsorge in Situationen, in denen Menschen in besonderer Weise Zuwendung, Trost, Rat und Hilfe suchen. 32 Berufliche und qualifizierte ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich in Gemeinden und diakonischen Einrichtungen, in kirchlichen Beratungsstellen und in verschiedenen Institutionen (Krankenhaus, Justizvollzugsanstalt, Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Polizei) um Menschen in ihrer jeweiligen Lebenslage. 33 Die Ausübung der Anstaltsseelsorge ist durch das Grundgesetz geschützt. 34 Auf Katastrophenfälle reagiert die Kirche durch die Notfallseelsorge. 35 Daneben hat sie zielgruppenbezogene Arbeitszweige eingerichtet, wie beispielsweise die Gehörlosenseelsorge oder die Seelsorge an Kriegsdienstverweigerern.
36 Die Vielfalt der Kommunikationsformen durch Medien bietet der Kirche neue Möglichkeiten zur Seelsorge (Briefseelsorge, Telefonseelsorge, Seelsorge im Internet).
37 Zur Seelsorge gehört das Angebot der Beichte. 38 Allerdings wird in der Gegenwart die ausdrückliche Einzelbeichte nur in geringem Umfang praktiziert. 39 Mit Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung haben jedoch Elemente der Beichte ihren festen Platz im Gemeindegottesdienst behalten. 40 Auch in seelsorglichen Einzelgesprächen kommt es mitunter zu Einzelbeichten. 41 Dabei wird die Beichte vom klärenden und weiterführenden Gespräch begleitet. 42 Es gibt Versuche, die Allgemeine (gottesdienstliche) Beichte und die Einzelbeichte als Glaubens- und Lebenshilfe unter den Bedingungen einer individualisierten Gesellschaft neu zur Geltung zu bringen.
43 Um auf die jeweiligen Aufgaben und spezifischen Situationen angemessen eingehen zu können, bedienen sich viele Seelsorgerinnen und Seelsorger Methoden, die der Psychotherapie entlehnt sind. 44 Hinter diesen Methoden steht die Überzeugung, dass auch Seelsorge sich als zuhörende und annehmende partnerschaftliche Begleitung vollziehen kann. 45 Solche Methoden prägen inzwischen in unterschiedlicher Intensität Ausbildung und Praxis der Seelsorge. 46 Sie können zu einer Sensibilisierung der Seelsorgerinnen und Seelsorger für die eigene Befindlichkeit und für die Situation der zu beratenden Menschen beitragen. 47 Gelegentlich wird jedoch auch auf die Gefahr der Eigengesetzlichkeit psychologischer Methoden hingewiesen und eine stärkere Orientierung am Evangelium und dem biblischen Menschenbild gefordert.
48 Die Gestaltung der Seelsorge sieht sich vor vielfältige Widerstände gestellt. 49 Schon das Wort „Seelsorge“ erweist sich häufig als Hindernis. 50 Von dem Wort „Seele“ her hat der Ausdruck für manche Menschen einen altertümlichen, von dem Wort „Sorge“ her einen moralisierenden oder gar autoritativen Klang. 51 Probleme ergeben sich auch daraus, dass die Einsichten und Erfahrungen, die der christliche Glaube mit sich bringt, oft unbekannt bleiben und die Kirche häufig als rückständige Moralinstanz angesehen wird. 52 Schwierigkeiten bereitet, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger auf Grund vielfältiger beruflicher Beanspruchungen häufig über zu wenig Zeit verfügen. 53 Es kann aber nicht bezweifelt werden, dass trotz aller Widerstände in der gegenwärtigen Situation Seelsorge in vielfältiger Weise geübt wird und Segen bringt.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Die biblischen Texte, die Geschichten des Alten und Neuen Testaments, die Gebete des Psalters und das Hiobbuch haben für Verständnis und Vollzug der Seelsorge ein großes Gewicht. Sie deuten Grundsituationen und stellen das menschliche Leben in das Licht der Verheißungen Gottes.
Nach Gen 2,7 haucht Gott dem Menschen seinen Lebensodem ein, der so zu einer „lebendigen Seele“ wird. Dabei wird der ganze Mensch als lebendige Person bezeichnet. Dementsprechend dient der Begriff „Seele“ dazu, auch Gefühle wie Liebe und Hass, Schmerz und Traurigkeit auszudrücken. Nach biblischem Verständnis ist der Mensch auf Gott hin orientiert: Solange er von Gott getrennt ist, bleibt ihm die Fülle des Lebens verschlossen. Der Mensch erlangt sie erst in der Beziehung zu Gott, wie ihn das Alte und Neue Testament bezeugen.
Als Inbegriff des ganzen Menschen, insbesondere des Menschen vor Gott, kann im Neuen Testament die „Seele“ Gegenstand seelsorglichen Bemühens sein. Als „Hirt und Bischof“ der Seelen (1. Petr 2,25) beauftragt Jesus Christus seine Gemeinde, Angefochtene und Traurige, Kranke und Sterbende zu besuchen und zu trösten (vgl. Mt 25,34–40), Sünden zu erlassen und zu behalten (Mt 18,18; Joh 20,23; Lk 17,3), in Konflikten zu beraten (1. Kor 6), Schuld beim Namen zu nennen und Sünder anzunehmen und zu mahnen (Joh 8,1–11), Verirrten nachzugehen (Mt 18,12–14, vgl. Hes 34,16).
10 Nach neutestamentlichem Zeugnis werden seelsorgliche Dienste von allen Gemeindegliedern erwartet (Gal 6,1–5; Röm 12,9–18). 11 Sie sollen sich umeinander kümmern (Hebr 10,24). 12 Sie nehmen darin teil am priesterlichen und prophetischen Dienst Jesu Christi (1. Petr 2,9; 1. Kor 12,28). 13 Die Ausübung dieses Dienstes ist insbesondere denen aufgetragen, die als Apostel, Propheten und Lehrer berufen sind (1. Kor 12,10.28). 14 An ihnen wird die geistliche Autorität, die für die Seelsorge unerlässlich ist, besonders deutlich. 15 Die Gemeinde Jesu hat den Auftrag und die Vollmacht, den mit Schuld Beladenen die Vergebung zuzusprechen: „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen“ (Joh 20,23).
16 Jede Epoche der Kirchengeschichte hat den Dienst der Seelsorge in eigener Weise ausgeprägt und dadurch zu aller Zeit Seelsorge als elementare Form kirchlichen Handelns herausgestellt. 17 In der frühen Kirche gehen von den Mönchsorden seelsorgliche Impulse aus. 18 Das Mittelalter ist bestimmt von der Seelsorge als Buß- und Beichtpraxis. 19 Luthers Grundauffassung der Seelsorge begegnet in eindrücklicher Weise in einer vermächtnisartigen Eintragung in seinem Handpsalter, den Luther stets zum Gebet bei sich hatte: „Wo meine Seele ihre Bleibe finden werde, das ist nicht Sache meiner Sorge, obwohl ich durch den Teufel höchst gefährdet bin. Christus mag sich darum kümmern, er, der für meine Seele so definitiv gesorgt hat, dass er lieber sein Leben, seine eigene Seele, dafür einsetzte, um die meine zu erlösen, er, der beste Hirte und gepriesene Bischof der Seelen, die an ihn glauben. Er muss nicht etwa bei mir anfangen zu lernen, für die Seelen derer zu sorgen, die an ihn glauben. Auch will ich nicht etwa selbst die eigene Seele in meiner Hand und Fürsorge haben. Dann wäre sie im Augenblick vom Teufel verschlungen. Vielmehr soll Christus sie in seiner Hand haben, der niemand sie entreißen kann. Mir genügt zu wissen, dass im Hause seines Vaters viel Raum ist.“ 20 Im weiteren Verlauf der Reformation tritt das Verständnis der Seelsorge als Erziehung in den Vordergrund und entfaltet in den reformierten Kirchen eine Lehre von der Kirchenzucht, in den lutherischen Kirchen eine allgemeine Erziehungslehre (Katechismen) und den Leitgedanken einer wechselseitigen geschwisterlichen Beratung und Tröstung.
21 Seelsorge ist somit zu verstehen als ein vom Evangelium ausgelöster und inspirierter Dienst der Kirche an Menschen, über die Leid, Schuld und anderes Unheil gekommen ist oder zu kommen droht. 22 Sie soll der Glaubensstärkung und Lebenshilfe dienen und vollzieht sich als ein Eingehen auf Menschen vor allem durch Zuspruch, Beistand, Vergebung, Trost, Beratung und Ermahnung. 23 Kein Christ kann ohne Seelsorge sein, weil niemand im Glauben ungefährdet, in der Liebe fertig und in der Hoffnung beständig ist.
24 Seelsorge zielt auf die Befestigung und Erweiterung einer vorhandenen bzw. die Wiederherstellung einer gestörten Glaubensbeziehung. 25 Sie leitet dazu an, sich in Einstellungen und Verhalten auf das hin zu orientieren, was Jesus Christus als entscheidend und heilbringend vor Augen gestellt hat. 26 Seelsorge geht deshalb über die Bewältigung von akuten Lebensproblemen oder Krisen und über psychotherapeutisches Handeln hinaus. 27 Erst in der Gemeinschaft mit Gott findet der Mensch zu sich selbst.
28 Seelsorge ist zugleich eine Gemeinschaftsaufgabe der christlichen Gemeinde als Ort gegenseitiger Beratung und Ermutigung. 29 In Gesprächs- und Hauskreisen, Glaubensseminaren und Arbeitsgruppen aller Art, auf Freizeiten und Retraiten bemühen sich die Beteiligten gemeinsam um Orientierungshilfe aus dem Glauben angesichts bedrängender Herausforderungen und Anfechtungen. 30 Dabei kommen sowohl die unterschiedlichen Kenntnisse als auch Glaubens- und Lebenserfahrungen der Beteiligten zum Tragen und können zu neuem Verstehen und Annehmen der biblischen Botschaft helfen. 31 Aus der gegenseitigen Beratung kann eine „Beistandsgemeinschaft“ erwachsen, die den Einzelnen Rückhalt gibt, auch unter Schwierigkeiten neuen Einsichten im eigenen Lebensalltag zu folgen.
32 Die Besonderheit der Seelsorge als Glaubensstärkung und -vergewisserung wird speziell in der Beichte und im Zuspruch der Sündenvergebung deutlich. 33 Sündenbekenntnis und -lossprechung sind nach reformatorischem Verständnis „Wiedergang und Zutreten zur Taufe“ (Martin Luther, Großer Katechismus). 34 Vergebung tilgt nicht nur die Schuld der Vergangenheit, sie eröffnet den Weg in ein befreites Leben: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2. Kor 5,17).
35 Jeder Gemeindegottesdienst enthält Sündenbekenntnis und Vergebungszuspruch in elementarer Form. 36 Die Einzelbeichte kann für alle hilfreich sein, die sich selbst prüfen und ihr Leben vor Gott überdenken wollen. 37 Sie ist vor allem ein Dienst an denen, die in ihrem Gewissen belastet sind, unter ihrer Schuld leiden oder mit ihr alleingelassen sind. 38 Empfangene Vergebung wird dann nicht ohne Folgen bleiben. 39 Zur Versöhnung bereit sein, Vertrauen und Frieden stiften, aufmerksam und verantwortlich leben und nach Kräften Schaden wiedergutmachen sind Schritte auf einem neu gewonnenen Weg der Freiheit.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 73
Präambel

Die christliche Gemeinde übt Seelsorge, weil Jesus Christus seine Gemeinde beauftragt hat, wie er selbst den Menschen nahe zu sein, sie zu besuchen, ihnen zuzuhören und sie zu trösten, zu beraten und zu mahnen, Sünde zu benennen und zu vergeben. Die Seelsorge verweist auf das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi als Zeichen dafür, dass Gottes barmherzige, vergebende und Recht schaffende Liebe beständig und zuverlässig ist. Menschen bedürfen des Zuhörens und des Zuspruchs als Einzelne und in der Gemeinschaft (spezielle und allgemeine Seelsorge). Seelsorge bezieht sich auf das Leben in allen seinen Bezügen. Der seelsorgliche Dienst beruht wie alles Reden und Tun im Namen Jesu Christi auf der Verheißung seiner Gegenwart.
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Artikel 74
Inhalt der Seelsorge

In der Seelsorge nimmt die Kirche ihren Dienst am Wort durch Zuwendung, Zuhören und Zuspruch, Tröstung und Ermahnung wahr. Zum Wesen evangelischer Seelsorge gehört Begleitung und persönliche Nähe. Die Seelsorge dient der Glaubensstärkung und Lebenshilfe. Sie hilft, in eine heilende Beziehung zum Evangelium zu kommen. In der Seelsorge können Lebensprobleme, Glaubensfragen und Erfahrungen von Not, Leid und Schuld zur Sprache kommen.
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Artikel 75
Ausübung der Seelsorge

(1) Seelsorge darf niemandem aufgenötigt und niemandem verweigert werden.
(2) Jeder Christ kann zur Seelsorgerin oder zum Seelsorger von anderen werden.
(3) Zur Seelsorge sind insbesondere die Pfarrerinnen und Pfarrer berufen. Die Kirche muss dafür Sorge tragen, dass der Dienst der Seelsorge für alle erreichbar ist. Dabei kommt dem Gemeindepfarramt eine hohe Verantwortung und der Ortsgemeinde eine wichtige Aufgabe zu.
(4) Gliedkirchen und Gemeinden sorgen dafür, dass theologisch und für den Umgang mit Menschen besonders ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Seelsorge zur Verfügung stehen. Eine therapeutische Ausbildung kann der Seelsorge unterstützende Methoden zur Verfügung stellen.
(5) Eine seelsorgliche Aufgabe von großer Bedeutung ist es, Frömmigkeits- und Lebensformen für das Hören und Bedenken der christlichen Botschaft aufzuzeigen und einzuüben, die unter den Bedingungen des Alltags praktizierbar sind und Möglichkeiten zur seelischen Regeneration bieten.
(6) Die Geschichten und Gebete der Bibel haben seelsorgliche Kraft. Sie deuten Leben und sprechen Vergebung und Verheißung zu. Die Weitergabe und Interpretation der biblischen Botschaft in Predigt und Unterricht ist eine seelsorgliche Aufgabe, damit in Krisenzeiten auf ein Grundverständnis vom christlichen Glauben zurückgegriffen werden kann.
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Artikel 76
Allgemeine Beichte und Einzelbeichte

(1) Die evangelische Beichte besteht aus Sündenbekenntnis und Zuspruch der Vergebung (Absolution).
(2) Zum Gottesdienst gehören Bekenntnis der Schuld und Verkündigung der Vergebung. Die Allgemeine Beichte findet innerhalb eines Gottesdienstes statt.
(3) Die Einzelbeichte wird gehalten, wenn ausdrücklich um ein Beichtgespräch gebeten wird oder wenn sich die Beichte aus einem seelsorglichen Gespräch ergibt.
(4) Es ist Pflicht der Ordinierten, die Einzelbeichte anzubieten und sie zu halten, wenn sie begehrt wird. Diesen Dienst kann auch jeder andere Christ übernehmen; er soll sich jedoch ernsthaft prüfen, ob er die Beichte abnehmen kann, wenn er Zweifel haben muss, das Beichtgeheimnis wahren zu können.
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Artikel 77
Beichtgeheimnis und seelsorgliche Schweigepflicht

(1) Das Beichtgeheimnis ist unverbrüchlich.
(2) Alle, denen als Seelsorgerin oder Seelsorger etwas anvertraut worden oder bekannt geworden ist, sind verpflichtet, über das Erfahrene zu schweigen. Werden sie von denjenigen, die sich ihnen anvertraut haben, von der Schweigepflicht entbunden, so haben sie dennoch sorgfältig zu prüfen, ob und inwieweit sie Aussagen oder Mitteilungen verantworten können.
(3) Beichtgeheimnis und seelsorgliche Schweigepflicht stehen unter dem Schutz der Kirche.
(4) Zur Vertraulichkeit in Beichte und Seelsorge gehört, dass auch Beichte und Seelsorge Suchende über Verlauf und Inhalt des Gesprächs Stillschweigen bewahren.
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9.
Diakonie

I. Wahrnehmung der Situation
Seit der Entstehung der Kirche gehört die Hilfe für alle in Not geratenen Menschen zum Glaubensgehorsam der Christen und zum Auftrag der Kirche. Auf Grund ihrer Geschichte ist die Diakonie heute ein freier Wohlfahrtsverband, der die diakonische Arbeit und ihre Träger gegenüber staatlichen, kommunalen und kirchlichen Stellen sowie gegenüber den anderen Verbänden der freien Wohlfahrtspflege vertritt. Die Diakonie versteht sich jedoch als Dienst in der Kirche und hat teil an der Selbstbestimmung und der Freiheit der Kirche, die auch das Grundgesetz anerkannt hat.
Die Arbeit der Diakonie wird unter anderem gefördert durch das im Bundessozialhilfegesetz und im Kinder- und Jugendhilfegesetz verankerte Subsidiaritätsprinzip, das die Träger der Sozialhilfe zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege sowie zur angemessenen Unterstützung ihrer Arbeit verpflichtet. Auf Bundesebene gehört die Diakonie zu den anerkannten Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege. Sie ist eingebunden in die sozialen Sicherungssysteme des Staates und zählt zu den größten Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes. In der Bevölkerung genießt sie hohes Ansehen.
Kirchengemeinden und andere kirchliche Körperschaften unterhalten vielfach Diakoniestationen (Sozialstationen). Darüber hinaus besteht ein dichtes Netz von Hilfsangeboten in Form von stationären, halb offenen und offenen Einrichtungen und Diensten. 10 Die Angebote reichen von Krankenhäusern, Altenheimen und Einrichtungen für Behinderte über Adoptionsvermittlungs-, Ehe-, Familien- und Suchtberatungsstellen bis zu Aus- und Fortbildungsstätten für soziale Berufe. 11 Die Verantwortung wird hier in der Regel von den Trägern diakonischer Arbeit selbstständig wahrgenommen. 12 Sie erfolgt auf Grund kirchlicher Diakoniegesetze unter Beachtung staatlicher Vorgaben und Regelungen.
13 Die Diakonie steht vor großen Herausforderungen. 14 So lässt sich die Frage nicht abweisen, wie die Diakonie unter den Gesetzen des (europäischen) Marktes und angesichts der Sparpolitik der öffentlichen Hände und des Konkurrenzdrucks durch private Anbieter sozialer Hilfe ihr evangelisches Profil wahren kann. 15 Je mehr sich die Diakonie marktpolitischer Arbeitsweisen und Organisationsweisen bedienen muss, desto weniger Spielraum bleibt ihr, um ihre Arbeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
16 Eine weitere Herausforderung ist die fortschreitende Loslösung der Diakonie von der Gemeindeebene. 17 Der Zwang, die Fachkräfte kostengünstig einzusetzen, führt zur Konzentration der Arbeit. 18 So ist zum Beispiel aus der Gemeindeschwester von einst längst die Pflegekraft in der Diakoniestation (Sozialstation) auf Stadtteilebene geworden.
19 Die Diakonie bemüht sich, den Herausforderungen kreativ und innovativ zu begegnen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den inhaltlichen Grundfragen des diakonischen Dienstes zu beteiligen, die Verantwortung der Gemeinden auch unter den veränderten Rahmenbedingungen herauszustellen und das ehrenamtliche Engagement von Gemeindegliedern zu fördern. 20 Sie stützt sich dabei besonders auf solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als bewusste Christen in der Diakonie tätig sind.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Nächstenliebe und Rechtsschutz für Schwache gehören schon im Alten Testament zu den zentralen biblischen Geboten (Ex 22,20–26). Die Armen und ihr Recht sind ein wichtiges Thema im Leben des Volkes Israel und in der Verkündigung der Propheten (Ex 23,6; Sach 7,9 f.).Rechtsbruch und Vernachlässigung der Armen stehen unter der Ankündigung des Gerichts Gottes (Am 2,6). Indem der Mensch auf die Hilfsbedürftigkeit anderer eingeht und sich ihnen zuwendet, gibt er Zeugnis von der kommenden Gerechtigkeit Gottes.
Im Neuen Testament erklärt Jesus das Gebot der Nächstenliebe gemeinsam mit dem Gebot der Gottesliebe zu dem wichtigsten, alle anderen Weisungen Gottes zusammenfassenden Gebot (Mt 22,37–40). Die christliche Gemeinde hat das Gebot der Nächstenliebe, wie Jesus Christus es gepredigt und gelebt hat, auf ihre Glieder bezogen und zugleich über ihre Grenzen hinweg in dieses Gebot alle Menschen eingeschlossen, die Hilfe brauchen.
In der frühen christlichen Gemeinde gehört die Armenpflege zum festen Bestandteil des Gemeindelebens. Über das Teilen materieller Güter hinaus versteht sich die Gemeinde als eine Gemeinschaft, in der jeder zugleich empfängt und gibt, trägt und getragen wird.
Im frühen Mittelalter ist das Armen- und Fürsorgewesen eine Angelegenheit der Kirche, vor allem der Klöster und Spitäler. 10 Nach der Reformation geht die von der Kirche getragene Armenfürsorge mehr und mehr in die Verantwortung der Bürgerschaft und des städtischen Magistrats über. 11 Mit Beginn des Industriezeitalters tritt an die Stelle der kirchlichen Armenfürsorge weitgehend die öffentliche Fürsorge durch staatliche Behörden.
12 Im Bereich der evangelischen Kirche entstehen im 19. Jahrhundert freie Initiativen, die sich neben den staatlichen Behörden und unabhängig von der verfassten Kirche der sozialen Notstände annehmen. 13 Die Arbeit der „Inneren Mission“ wird wesentlich durch diakonische Schwestern- und Bruderschaften getragen, die sich als Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaften verstehen. 14 Johann Hinrich Wichern versucht, eine enge Verbindung zwischen der „Inneren Mission“ und der verfassten Kirche herbeizuführen.
15 Die Erfahrungen während der nationalsozialistischen Herrschaft führen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schließlich zur Anerkennung der Diakonie als Wesens- und Lebensäußerung der Kirche. 16 Diese Formel hat sich als richtungweisend erwiesen und ist 1948 in die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland übernommen worden (Artikel 15).
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 78
Präambel

Diakonie als Dienst am Nächsten geschieht in der Nachfolge Jesu Christi und orientiert sich an seiner Botschaft von der Gerechtigkeit und Liebe Gottes. Sie tritt ein für eine Gemeinschaft, die sich von der gemeinsamen Verantwortung und gegenseitiger Hilfe bestimmen lässt. Sie hilft überall dort, wo ihr Menschen in Not begegnen, und versteht sich als soziale Anwaltschaft der Schwachen. Sie ist Aufgabe der ganzen christlichen Gemeinde.
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Artikel 79
Verantwortung des Gemeindekirchenrates

In der Kirchengemeinde geschieht der Dienst der Diakonie in der Verantwortung des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums), indem dieser (dieses) im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgt, dass der diakonische Auftrag der Gemeinde erfüllt wird und dass Einrichtungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Sachmittel vorhanden sind. Das kann in Verbindung mit anderen Kirchengemeinden oder auf der Ebene des Kirchenkreises geschehen. Mit anderen Trägern sozialer und diakonischer Arbeit im Bereich der Kirchengemeinde soll enge Verbindung gehalten werden.
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Artikel 80
Übertragung diakonischer Aufgaben

Der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) kann einzelnen seiner Mitglieder besondere diakonische Dienste in der Gemeinde übertragen. Die Beauftragten achten darauf, dass die diakonischen Aufgaben in den Beratungen und Entscheidungen des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums) berücksichtigt werden. Sie halten mit den diakonischen Einrichtungen in der Gemeinde Kontakt und tragen mit dafür Sorge, dass die Gemeindeglieder den diakonischen Auftrag erkennen und wahrnehmen.
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Artikel 81
Diakonieausschuss

Der Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) soll zur Förderung der diakonischen Arbeit einen Diakonieausschuss berufen. Der Diakonieausschuss soll aus Mitgliedern des Gemeindekirchenrates (Presbyteriums), in der Diakonie tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und sachkundigen Gemeindegliedern gebildet werden. Als Fachausschuss ist es seine Aufgabe, das diakonische Handeln der Gemeinde auch in Verbindung mit vorhandenen diakonischen Einrichtungen anzuregen und zu fördern. Er berät den Gemeindekirchenrat (das Presbyterium) in allen diakonischen Fragen.
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Artikel 82
Zusammenarbeit

Kirchenkreise und Gliedkirche ermutigen und stärken die Gemeinden bei der Erfüllung ihres diakonischen Auftrags. Sie fördern die Arbeit der diakonischen Werke und Einrichtungen in ihrem Bereich und unterstützen deren Zusammenarbeit mit den Gemeinden.
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10.
Verantwortung in Gesellschaft und Politik

I. Wahrnehmung der Situation
Mehr als früher fragen Menschen kritisch nach der Rolle der Kirche in Gesellschaft und Politik. Manche meinen, Staat und Kirche müssten deutlicher getrennt werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde auch innerkirchlich darüber gestritten, ob der Kirchensteuereinzug durch den Staat, der Religionsunterricht an den Schulen und die Struktur der Militärseelsorge noch zeitgemäß seien. Auch vielen Kirchenmitgliedern ist das alte Bild von der Volkskirche fremd geworden.
Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die von der Kirche viel erwarten. Angesichts des tief greifenden Wertewandels in allen gesellschaftlichen Bereichen müssen christliche Werte und Traditionen neu vermittelt werden. Die Kirche soll nicht nachlassen, sich mit ihrer Diakonie für Kranke und Schwache, für Benachteiligte und Fremde einzusetzen. Viele Menschen, besonders die jüngere Generation, erwarten von der Kirche einen stärkeren Einsatz für soziale Gerechtigkeit, für Frieden in der Welt und die Bewahrung der Schöpfung. Auch im Hinblick auf eine sich stark wandelnde Arbeitswelt und die Probleme der Arbeitslosigkeit wird die Kirche aufgefordert, sich für eine gerechte Verteilung der Arbeit und gleiche Bildungschancen einzusetzen. 10 In Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, in humanitären Organisationen und Hilfswerken arbeiten Christen aktiv mit. 11 Nach wie vor ist kirchliche Arbeit in Kindertagesstätten, Jugendzentren, Alten- und Behinderteneinrichtungen, im Bereich der Erwachsenenbildung, in Akademien und Hochschulen gefragt. 12 Der ehrenamtliche Dienst der Christen in Besuchs- und Selbsthilfegruppen, in der Telefonseelsorge, der Hospizarbeit, der Bahnhofsmission und der Gefängnisseelsorge ist für die Gesellschaft unverzichtbar. 13 Kirchenmusik und kirchliche Kunst bereichern das gesellschaftliche Leben. 14 Mit der Pflege ihrer historischen Kirchgebäude trägt die Kirche zur Erhaltung wichtiger Kulturgüter bei.
15 Das Verhältnis von Staat und Kirche ist rechtlich zum einen durch die Grundgesetzartikel 4 (Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) und 7 (Schulwesen) sowie durch den Grundgesetzartikel 140 in Verbindung mit den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (Religionsartikel), zum anderen durch Verträge zwischen Staat und Kirche bestimmt.
16 An vielen Aufgaben beteiligt der Staat die Kirche und ihre Einrichtungen nach dem Prinzip der Subsidiarität und unterstützt sie dabei mit zum Teil erheblichen finanziellen Mitteln, weil ihm ein plurales Angebot kirchlicher und anderer gemeinnütziger Träger verfassungsrechtlich aufgetragen ist.
17 Kirchliche Beauftragte halten Kontakt zu Landtagen und Bundestag, zu den Regierungen in Bund und Ländern, zu den Parteien sowie zu den Spitzenverbänden der Tarifpartner und der freien Wohlfahrtspflege.
18 Durch Denkschriften beteiligt sich die EKD am Zeitgespräch der Gesellschaft und leistet so einen Beitrag zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Jesus Christus hat öffentlich geredet und gehandelt und mit seinen Gleichnissen und Wundern oft auch bestehende Strukturen in Frage gestellt.
In der Bergpredigt (Mt 5–7) hat Jesus Christus eine Fülle von Leitlinien für das persönliche und gemeinschaftliche Leben der Christen gegeben. Selbst wenn die Bergpredigt nicht ungebrochen in den politischen Alltag umgesetzt werden kann, ist sie als Leitmotiv für das politische Handeln von Christen und Kirchen nicht wegzudenken.
Das Urchristentum und die Gemeinden der ersten Jahrhunderte respektieren den Staat der Antike als von Gott verordnete Obrigkeit. In seinem Brief an die Römer fordert der Apostel Paulus die Christen auf: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet“ (Röm 13,1). Dabei setzt der Apostel voraus, dass die Obrigkeit „Gottes Dienerin, dir zugut“ ist. Paulus erörtert nicht die Frage, ob dieser Grundsatz uneingeschränkt durchzuhalten ist, wenn eine Obrigkeit zu erkennen gibt, dass sie ihren Auftrag, Gutes zu fördern und Böses in Schranken zu weisen, verfehlt.
Die Christen weigern sich, an dem im Römischen Reich zunehmend geübten Herrscherkult teilzunehmen. Dies hat blutige Verfolgungen der Christen zur Folge. 10 Sie halten die Verbreitung des Christentums jedoch nicht auf. 11 Mit dem „Mailänder Toleranzedikt“ von 313 wird das Christentum rechtlich mit den übrigen im römischen Staat vorhandenen Religionen gleichgestellt. 12 Zwei Generationen später erhebt Kaiser Theodosius I. das Christentum zur ausschließlichen Staatsreligion. 13 Diese Veränderung von der Verfolgung über die Tolerierung hin zur Begünstigung des Christentums und der Kirche wird auch als „konstantinische Wende“ bezeichnet.
14 Im Oströmischen Reich entsteht in der Folge eine enge Verbindung von geistlichem und weltlichem Reich unter der Herrschaft des Kaisers – eine Traditionslinie, die im Byzantinischen Reich bis zu dessen Untergang und in Russland bis zum Fall des Zarismus im 20. Jahrhundert fortgesetzt wird.
15 Im Westen hat sich eine solche Verbindung weltlicher und geistlicher Autorität in der Person des Herrschers nicht durchsetzen können. 16 Theologisch hält die Kirche an ihrer Unabhängigkeit fest. 17 In klassischer Weise wird das in der „Zwei-Gewalten-Lehre“ von Papst Gelasius I. (492–496) formuliert, nach der die Welt durch zwei Gewalten regiert wird: durch die Autorität der Kirche, welche durch den Papst repräsentiert wird, und durch die Macht der Könige. 18 In der Praxis wird die Unabhängigkeit beider Gewalten allerdings nicht durchgehalten. 19 So führt das Bündnis des fränkischen Königtums mit dem Papsttum zu gegenseitigen Abhängigkeiten.
20 Im Gegenzug fordert die kirchliche Reformbewegung des 10. bis 12. Jahrhunderts die Vorherrschaft des Papstes auch im weltlichen Bereich. 21 Danach sind beide Schwerter von Gott der Kirche verliehen. 22 Während der Papst das geistliche selbst führt, ist das weltliche seiner Weisung entsprechend von den Fürsten für die Kirche zu handhaben. 23 Im Investiturstreit und in der Entwicklung des 12. und 13. Jahrhunderts gelingt der Kirche die weitgehende Durchsetzung dieses Anspruchs. 24 Zum Ausgang des Mittelalters folgt jedoch der Zusammenbruch päpstlicher Weltherrschaft und der Verfall kirchlicher Macht.
25 Die Reformation erbringt insbesondere in Form von Luthers Zwei-Reiche-Lehre Ansatzpunkte für eine säkulare, nicht geistlich definierte Legitimation weltlicher Ordnung. 26 Luther versteht die zwei Reiche als unterschiedliche Weisen, mit denen Gott gegen die Sünde des Menschen vorgeht: Während Gott das Herz des Menschen durch das gepredigte Wort ergreift, kommt es unter dem Zwang der Obrigkeit zum äußerlichen Gehorsam gegen das Gesetz. 27 So erfüllt die Obrigkeit in der gefallenen Welt eine notwendige Funktion, damit Frieden und Gerechtigkeit gewahrt werden. 28 Calvins Verständnis staatlicher Ordnung ist gegenüber Luthers Zwei-Reiche-Lehre stärker theokratisch orientiert.
29 Grundlegende Veränderungen im Verhältnis von Kirche und Staat ergeben sich mit der Aufklärung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit der Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte – insbesondere der Religionsfreiheit – und der Herausbildung des säkularen Staates, der sich zunächst konfessions- und später religionsneutral versteht.
30 Mit der Entwicklung des neuzeitlichen säkularen Staates treten lutherische und reformierte Positionen für einige Zeit schroffer gegeneinander, als dies in der Reformation selbst angelegt war. 31 Der Zwei-Reiche-Lehre gibt das Neuluthertum eine Fassung, die bisweilen die Vorstellung von einer Eigengesetzlichkeit des Politischen einschließt; dem tritt in der reformierten Tradition die Lehre von der Königsherrschaft Christi entgegen, der gemäß kein Lebensbereich dem Herrschaftsanspruch Christi entzogen sei.
32 Im Grundsatz kann dieser Konflikt mit der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 als überwunden angesehen werden. 33 In Folge der Einsicht, dass Christen in allen Lebensbereichen unter dem gnädigen Zuspruch wie unter dem Anspruch Jesu Christi stehen, verwirft die 2. These die Vorstellung, „als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu Eigen wären, Bereiche in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften“.
34 Nach wie vor gilt für die evangelische Kirche, was in der fünften These der Barmer Theologischen Erklärung über das Verhältnis der Kirche zum Staat ausgeführt wird. 35 Nach dem vorangestellten Schriftwort „Fürchtet Gott, ehret den König“ (1. Petr 2,17) heißt es: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“
36 In der Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ von 1985 hat die EKD die demokratische Grundordnung ausdrücklich bejaht und die Verpflichtung der Christen zum Engagement in unserem Gemeinwesen unterstrichen: „Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als Grundlage anerkennt und achtet. Den demokratischen Staat begreifen wir als Angebot und Aufgabe für die politische Verantwortung aller Bürger und so auch für evangelische Christen. In der Demokratie haben sie den von Gott dem Staat gegebenen Auftrag wahrzunehmen und zu gestalten.“
37 In der römisch-katholischen Soziallehre beschreibt das Subsidiaritätsprinzip das Verhältnis von Staat und Gesellschaft so, dass es verbietet, „das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen …“ (Sozialenzyklika „Quadragesimo Anno“ von 1931). 38 Das Subsidiaritätsprinzip wird von der evangelischen Sozialethik bejaht, weil und insofern es in einer freiheitlichen Ordnung der Autonomie und Leistungsfähigkeit der gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen dient und soziale Förderung auf die Hilfe zur Selbsthilfe ausrichtet. 39 Die Kirche erwartet, dass dieses für die Gesellschaft wesentliche Strukturprinzip vom Staat respektiert und bewusst gefördert wird.
40 Durch ihre Mitwirkung im öffentlichen Erwachsenenbildungssystem nimmt die Kirche ihre Bildungsverantwortung wahr. 41 Sie hilft den Erwachsenen in zunehmender Orientierungslosigkeit durch die Deutungsangebote biblischer Überlieferung zur Orientierung in gesellschaftlichen und persönlichen Lebensvollzügen. 42 Im Unterschied zu gemeindepädagogischen Angeboten vollzieht sich evangelische Erwachsenenbildung an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft. 43 Sie ist auch offen für Menschen, die in Distanz zur Kirche leben, aber den Diskurs mit der christlichen Tradition suchen. 44 Evangelische Erwachsenenbildung hat aufgrund ihres biblischen Menschenbildes eine kritische Funktion im Blick auf Gesellschaft und Politik und die sie tragenden Weltanschauungen.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 83
Präambel

Mit ihrer Botschaft von der freien Gnade Gottes nimmt die christliche Gemeinde auch öffentliche Verantwortung in Gesellschaft und Politik wahr. Sie setzt sich für Gerechtigkeit und Freiheit, für Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der noch nicht erlösten Welt ein. Sie sucht den offenen Dialog mit Menschen und Institutionen, die anders glauben und denken.
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Artikel 84
Kirche und Staat

Die Kirche bejaht die grundsätzliche Trennung und wechselseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat. Unbeschadet ihrer verschiedenen und zu unterscheidenden Aufträge und in der Überzeugung, dass Trennung und Unabhängigkeit zugleich Distanz und Kooperation gebieten, sind Kirche und Staat aneinander gewiesen, weil es beiden um das Wohl der Menschen geht.
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Artikel 85
Subsidiarität

Die Kirche bejaht das bewährte Prinzip der Subsidiarität im gesellschaftlich-politischen Raum.
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Artikel 86
Parlamentarische Demokratie

In der parlamentarischen Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung sieht die Kirche eine gute Möglichkeit für ihre Mitglieder, sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen.
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Artikel 87
Wahlrecht und politische Betätigung

(1) Das aktive und passive Wahlrecht auf den Ebenen der Kommunen, der Länder und des Bundes sowie der Europäischen Union eröffnet Wege zur Mitverantwortung in Gesellschaft und Politik.
(2) Pfarrerinnen und Pfarrer haben bei allen Äußerungen zu Fragen des öffentlichen Lebens und bei politischer Betätigung zu bedenken, dass ihr Ordinationsversprechen sie an die ganze Gemeinde weist und dass im Bewusstsein der Öffentlichkeit Person und Amt untrennbar sind.
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Artikel 88
Verantwortungsbereitschaft

(1) In der Nachfolge ihres Herrn setzt sich die christliche Gemeinde dafür ein, dass Menschlichkeit gefördert, Unheil vermieden und Not gewendet wird.
(2) Die christliche Gemeinde begleitet das Tun der politisch Handelnden mit kritischer Anteilnahme und in der Fürbitte vor Gott und setzt sich dafür ein, dass die Gesellschaft nicht in Einzelinteressen zerfällt. Wo Grundrechte des Menschen verletzt werden und die Grundlagen für ein menschenwürdiges Dasein gefährdet sind, erhebt sie um Gottes und der Menschen willen Einspruch. Sie stellt sich aber auch selbst im Blick auf ihr eigenes Handeln der öffentlichen Kritik.
(3) Durch Mitwirkung im Bereich der öffentlichen Erwachsenenbildung hilft die Kirche Menschen, die notwendige Bildung für ein selbstverantwortetes Leben zu finden.
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Artikel 89
Solidarität

Die christliche Gemeinde setzt sich für ein höchstmögliches Maß von Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit unter den Menschen ein. Beim Werben für Solidarität zwischen Starken und Schwachen, zwischen Reichen und Armen, zwischen Alten und Jungen, zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, zwischen Beheimateten und Heimatlosen kann mit gleichgesinnten Gruppen und Bewegungen zusammengearbeitet werden. Bei allem notwendigen Streiten um politische Ziele und konkrete Gesetzgebung tritt die Gemeinde für die Belange der Schwachen ein.
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11.
Mitarbeit in der Gemeinde

I. Wahrnehmung der Situation
Mit der Kirche verbinden viele Menschen oft nur die Pfarrerin oder den Pfarrer, obwohl in den Gemeinden und Einrichtungen der evangelischen Kirche sehr viel mehr Personen tätig sind. Viele arbeiten mit großem Einsatz ehrenamtlich mit. Unter ihnen ist der Anteil der Frauen erheblich höher als der der Männer.
Die Arbeit der Kirche ist ohne ehrenamtliches Engagement nicht denkbar. Ehrenamtliche Mitarbeit beruht auf Freiwilligkeit und wird unabhängig von der Erwerbstätigkeit ausgeübt. Sie geschieht unentgeltlich. Gelegentlich arbeiten auch Personen mit, die der Kirche nicht angehören. Die seit dem 19. Jahrhundert in großem Umfang gewachsene ehrenamtliche Mitarbeit ist ein hohes Gut für die Kirche und von großer sozialer Bedeutung für die Gesellschaft.
Mit Pfarrerinnen und Pfarrern hat die Kirche einen für die Weitergabe des Evangeliums eigens ausgebildeten Berufsstand. 10 Ihm ist auf Grund der Verpflichtung aus der Ordination eine hohe Verantwortung übertragen. 11 In der evangelischen Kirche gibt es jedoch kein Priesteramt, das eine besondere Würde von Gott hätte. 12 Alle, die glauben und getauft sind, sind gleichermaßen von Gott berufen und ermächtigt, die christliche Botschaft am je eigenen Ort glaubwürdig zu bezeugen. 13 Jede Mitarbeit in der Kirche, ob sie beruflich oder ehrenamtlich geschieht, dient dem gleichen Ziel. 14 Das schließt Unterschiede in den Aufgaben, in der Zuständigkeit und der Verantwortung nicht aus.
15 Bei den beruflich wahrgenommenen Diensten ist es im Laufe der Zeit zu einer Vermehrung, Ausdifferenzierung und Professionalisierung gekommen. 16 Auf allen Ebenen der Kirche – von der Gemeinde über den Kirchenkreis bis hin zur Landeskirche – wurden neue Stellen errichtet. 17 Viele Aufgaben konnten dadurch sachgerechter wahrgenommen werden. 18 Die unterschiedlichen Funktionen und Qualifikationen hatten aber auch unterschiedliche rechtliche und finanzielle Anstellungsbedingungen zur Folge. 19 Ebenso entstand das Problem, genügend fachlich geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die in der Kirche beheimatet waren oder ihr wenigstens formal angehörten.
20 Im Miteinander von beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ergeben sich auch Konflikte. 21 Die verschiedenen Dienste stehen in einem oftmals ungeregelten Verhältnis zueinander, das im Sinne einer funktionierenden Dienstgemeinschaft der Klärung bedarf. 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klagen über zu wenig Mitsprachemöglichkeit und Anerkennung. 23 Oft nehmen Pfarrerinnen und Pfarrer eine beherrschende Rolle ein. 24 Streit und Fehlverhalten finden in der Öffentlichkeit besondere Beachtung, weil viele an den ordinierten Pfarrerinnen und Pfarrern wie an den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche erkennen möchten, wie ein Leben aus dem Evangelium aussehen kann.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Der ganzen Gemeinde gilt der Sendungsauftrag, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theologische Erklärung, 6. These). Die in der Gemeinde Mitarbeitenden bilden eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. Die verschiedenen Gaben sollen helfen, den einen Auftrag in vielfältiger Weise und in unterschiedlichen Situationen auszurichten. Sie „begründen keine Herrschaft der einen über die anderen“ (Barmer Theologische Erklärung, 4. These).
Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments (1. Kor 12,7) ist allen Getauften eine Gabe des Geistes gegeben zum „Nutzen aller“: Durch die gegenseitige Ergänzung der verschiedenen Gaben kann eine Gemeinde ihrem Sendungsauftrag gerecht werden. Zugleich lässt die Inanspruchnahme einer Gabe durch die Gemeinde die Betreffenden erleben, dass sie als Glied am Leibe Christi gebraucht werden. Christen brauchen diese Erfahrung, um im Glauben wachsen zu können.
Zur Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags entstehen schon zu neutestamentlicher Zeit verschiedene Ämter und Dienste. „Er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden“ (Eph 4,11 und 12).
10 In der alten Kirche verfestigen sich im Laufe der Zeit die ursprünglich in freier Form wahrgenommenen Dienste, darunter auch der Dienst der Leitung.
11 Luther betont das Priestertum aller Getauften und betrachtet den Pfarrer als den „Bischof“ der Gemeinde. 12 Die Funktion kirchlicher Amtsvollmacht umschreibt das Augsburger Bekenntnis mit „das Evangelium zu predigen, Sünden zu vergeben, Lehre zu beurteilen und die Lehre, die gegen das Evangelium ist, zu verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenkundig ist, aus der christlichen Gemeinde auszuschließen – und zwar ohne menschliche Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort“ (Artikel 28).
13 Bucer und Calvin entwickeln eine gegliederte Gemeindeleitung. 14 Dem Predigtamt werden Älteste und Diakone (bei Calvin auch Lehrer) zugeordnet. 15 In den reformierten Gemeinden am Niederrhein entsteht schon im 16. Jahrhundert ein Laienpresbyteramt.
16 In der Folgezeit der Reformation werden die Landesherren die Leiter der evangelischen Territorialkirchen. 17 Die Hausväter nehmen in Ausübung des allgemeinen Priestertums in ihren Familien mit der Katechismuslehre einen wichtigen kirchlichen Dienst wahr.
18 Im Laufe des 19. Jahrhunderts kommt es allmählich in der preußischen Union zur Ausgestaltung presbyterial-synodaler Elemente in der Kirchenverfassung, wodurch zunehmend Gemeindeglieder an der Gestaltung des kirchlichen Lebens beteiligt werden. 19 Das im 19. Jahrhundert aufblühende kirchliche Vereinswesen zeigt die wachsende Bereitschaft der Gemeindeglieder zur ehrenamtlichen Mitarbeit auf neuen kirchlichen Arbeitsfeldern (zum Beispiel Innere Mission, CVJM, Evangelische Frauenhilfe).
20 In Folge der Erfahrungen des Kirchenkampfes ist das Bewusstsein für die Bedeutung des Miteinanders von beruflich und ehrenamtlich in der Leitung von Gemeinde und Kirche Tätigen gewachsen. 21 Die gegenwärtige Praxis ist bestimmt durch die sehr unterschiedliche Situation der evangelischen Gemeinden in Deutschland, jedoch ist gemeinsame Überzeugung, dass Christen in den Gemeinden zu Hause sein und sich im Alltag der Welt bewähren sollen.
22 Die zentrale Aufgabe der Gemeinde ist der Dienst der Verkündigung des Wortes Gottes. 23 Dieser Dienst wird durch das Zeugnis der Christen im Alltag, durch Pfarrerinnen und Pfarrer sowie durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in katechetischen und anderen pädagogischen Diensten und in der Kirchenmusik wahrgenommen.
24 Der Dienst der öffentlichen Verkündigung und Sakramentsverwaltung wird von dazu ausgebildeten und öffentlich berufenen (ordinierten) Gemeindegliedern ausgeübt. 25 Dabei sind sie an Schrift und Bekenntnis gebunden. 26 Sie tragen eine besondere Verantwortung für die Einheit der Gemeinde. 27 Auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können mit diesem Dienst beauftragt werden. 28 Die Beauftragung erfolgt in der Regel für eine begrenzte Zeit und einen bestimmten Ort.
29 Um dem Auftrag der Gemeinde und den unterschiedlichen Herausforderungen entsprechen zu können, sind über den pfarramtlichen, seelsorglichen, gemeindepädagogischen und kirchenmusikalischen Dienst hinaus ausgebildete Fachkräfte auf vielen Gebieten unerlässlich, zum Beispiel in den Kindertagesstätten, in der Verwaltung sowie in den sozialen und pflegerischen Diensten.
30 Weil der Auftrag der Kirche in der Bezeugung des Evangeliums besteht, stellt die evangelische Kirche in der Regel nur solche Personen ein, die ihr angehören. 31 Es gilt der Grundsatz, dass die Bereitschaft zur Übernahme von Diensten in der Kirche Ausdruck bewusster Kirchenmitgliedschaft ist. 32 Die Kirche macht damit von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch, das verfassungsrechtlich verbürgt ist. 33 Das staatliche Arbeitsrecht lässt den Kirchenaustritt als Kündigungsgrund zu. 34 Dennoch gibt es vor allem im diakonischen Bereich – und hier besonders in den östlichen Gliedkirchen – auf Grund der besonderen Verhältnisse Situationen, in denen Personen beschäftigt werden, die nicht der evangelischen Kirche angehören.
35 Die Leitung der Gemeinde obliegt dem Gemeindekirchenrat (Presbyterium). 36 Zu den Gemeindekirchenräten (Presbyterien) gehören eine Mehrzahl von Gemeindegliedern, die von der Gemeinde für eine bestimmte Zeit gewählt werden, die Pfarrerinnen und Pfarrer sowie in manchen Gliedkirchen auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 37 Der Gemeindekirchenrat (Presbyterium) trägt Verantwortung dafür, dass der Dienst der Verkündigung schriftgemäß ausgeübt wird. 38 Darin kommt zum Ausdruck, dass die Ausübung dieses Dienstes der ganzen Gemeinde anvertraut und befohlen ist. 39 Er bemüht sich auch darum, dass die verschiedenen Ämter und Dienste dem Aufbau der Gemeinde und dem Zeugnis in der Welt dienen. 40 Er sorgt auch für die äußeren Bedingungen des Gemeindelebens (Finanzen, Gebäude, Anstellung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern).
41 Weil alle Dienste zum Gemeindeaufbau beitragen und zusammenwirken sollen, werden sowohl berufliche als auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Gebet und Segen in ihren Dienst eingeführt. 42 Denn für alle gilt das Wort Christi: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5).
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 90
Präambel

Die christliche Gemeinde hat den Auftrag, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theologische Erklärung, 6. These). Dieser Sendungsauftrag gilt der ganzen Gemeinde. Er wird durch verschiedene Dienste und Ämter wahrgenommen, entfaltet und gefördert. Die in der Gemeinde Mitarbeitenden bilden deshalb eine Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. Die verschiedenen Ämter „begründen keine Herrschaft der einen über die anderen“ (Barmer Theologische Erklärung, 4. These). Die in solcher Gemeinschaft vorhandenen verschiedenen Gaben sollen helfen, den einen Auftrag in vielfältiger Weise und in unterschiedlichen Situationen auszurichten. Dass dies dem Auftrag gemäß geschieht, ist der Sinn aller Leitung in der Kirche. Ämter und Dienste in der Gemeinde können ehrenamtlich oder beruflich ausgeübt werden.
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Artikel 91
Dienstgemeinschaft

(1) Der gemeinsame Auftrag verbindet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vertrauensvoller Zusammenarbeit. Sie nehmen den Auftrag in einer gegliederten Verantwortung wahr.
(2) Durch ihre öffentliche Vorstellung und gegebenenfalls Einführung in einem Gottesdienst bekräftigt die Gemeinde die Dienstgemeinschaft aller.
(3) Die Beschäftigung im kirchlichen Dienst setzt die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche voraus. Über Ausnahmen entscheidet das gliedkirchliche Recht.
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Artikel 92
Dienst der Verkündigung

(1) Zum Dienst der Verkündigung gehört eine Vielzahl von Aufgaben in Gottesdienst, Seelsorge und Unterweisung. Diese können auf Dauer oder auf Zeit übertragen und beruflich oder ehrenamtlich wahrgenommen werden.
(2) Der Dienst der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung wird in der Regel von dazu besonders ausgebildeten und öffentlich berufenen (ordinierten) Gemeindegliedern wahrgenommen.
(3) Mit diesem Dienst können auch andere hierfür zugerüstete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beauftragt werden. Die Beauftragung erfolgt in der Regel für eine begrenzte Zeit und einen bestimmten Ort.
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Artikel 93
Weitere Dienste

Zu den Aufgaben der Gemeinde gehören neben dem Dienst der Verkündigung weitere Dienste am Nächsten und an der Gesellschaft, vor allem im Bereich der Diakonie, sowie die Verwaltung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versehen ihren Dienst im Rahmen der geltenden Ordnung in Zuordnung zu den anderen Diensten und in Ausrichtung auf den Gesamtauftrag der Gemeinde.
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Artikel 94
Einführung in den Dienst

Wer mit beruflichem oder ehrenamtlichem Dienst in der Gemeinde beauftragt wird, soll mit Gebet und Segen in den Dienst eingeführt werden.
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Artikel 95
Zusammenarbeit

(1) Für die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine klare Bestimmung und Abgrenzung der Aufgaben unerlässlich.
(2) Alle beruflich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sich regelmäßig zu Dienstbesprechungen. Die Termine dafür sollen so eingerichtet werden, dass auch ehrenamtlich Tätige daran teilnehmen können.
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Artikel 96
Gemeindeleitung

Die Leitung der Gemeinde obliegt dem Gemeindekirchenrat (Presbyterium), in dem in der Mehrzahl ehrenamtlich tätige Gemeindeglieder sowie Pfarrerinnen und Pfarrer zusammenarbeiten. Näheres regelt das gliedkirchliche Recht.
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12.
Geld, Vermögen und wirtschaftliches Handeln

I. Wahrnehmung der Situation
Wie die Kirche mit ihrem Besitz umgeht und wie sie ihr wirtschaftliches Handeln gestaltet, interessiert viele Menschen, gerade auch außerhalb der Gemeinde. Mit ihrem wirtschaftlichen Handeln hat die Kirche nicht nur die Regeln des öffentlichen Marktes zu beachten, sondern muss darauf Acht haben, dass ihr Handeln auf diesem Gebiet auch als Wahrnehmung ihres Auftrages zu erkennen ist.
Die wichtigste Einnahmequelle der Kirche ist die Kirchensteuer. Sie ist ein wesentliches Mittel zur Finanzierung vieler Aufgaben der Kirche. Die Kirchensteuer wird durch die Finanzämter im Auftrag der Kirche eingezogen. Der dabei entstehende Aufwand wird pauschal durch die Kirche abgegolten; der kirchliche Verwaltungsaufwand wird dadurch gering gehalten.
Die Kirchensteuer nimmt an der Staffelung der Einkommen- und Lohnsteuer teil. Sie entspricht damit sozialen Kriterien. Allerdings entsteht durch den Einzug der Kirchensteuer durch das Finanzamt kein direkter Kontakt zur Gemeinde. 10 Der Abzug durch das Finanzamt wird gelegentlich auch als ärgerlich empfunden. 11 Mitunter führt zu Kritik, dass auf die Verwendung der Kirchensteuer kein direkter Einfluss genommen werden kann.
12 Die Bindung der Kirchensteuer an Lohn- und Einkommensteuer führt dazu, dass relativ viele Gemeindeglieder, die keine Lohn- und Einkommensteuer zahlen, auch nicht zur Kirchensteuer herangezogen werden. 13 So gewinnen neben der Kirchensteuer verschieden ausgestaltete regelmäßige Einnahmen – zum Beispiel der Gemeindebeitrag bzw. das Gemeindekirchgeld – an Bedeutung, um die die Kirche alle Gemeindeglieder bittet.
14 Neben den verbindlichen Einnahmen der Kirche stehen Kollekten, Opfer, Spenden und andere Zuwendungen, zum Beispiel Vermächtnisse. 15 Hier werden Gemeinde und Öffentlichkeit zu verschiedenen Gelegenheiten und in vielfältiger Form direkt angesprochen. 16 Entscheidend ist, ob und wieweit der Zweck einleuchtet, für den gesammelt wird.
17 Einen Teil des kirchlichen Vermögens bilden Immobilien. 18 Der Grundbesitz der Kirche steht ihr zur Erfüllung ihrer Aufgaben zum großen Teil seit Jahrhunderten zur Verfügung. 19 Die Pflege und der sorgfältige Umgang mit diesem Vermögen ist eine wichtige Aufgabe kirchlichen Handelns, auch unter dem Gesichtspunkt der Bereitstellung von Finanzmitteln.
20 Eine weitere Einnahme der Kirche sind die so genannten Staatsleistungen. 21 Sie haben ihren Ursprung in Säkularisierungsvorgängen des 19. Jahrhunderts. 22 Ihr Bestand ist durch Grundgesetz und Ländergesetze, in der Regel auch als Gegenstand der Staatskirchenverträge, garantiert. 23 Diese Leistungen sind nicht zu verwechseln mit zweckgebundenen Zuschüssen des Staates an die Kirche, vor allem im sozial-diakonischen Bereich.
24 Übernimmt die Kirche im diakonischen und sozialen Bereich Aufgaben der gesamten Gesellschaft und engagiert sie sich in der Denkmalpflege und im Bildungs- und Schulwesen, so stellen Bund und Länder dazu Finanzmittel bereit.
25 Die Ausgaben der Kirche werden wie überall, wo vorwiegend Dienstleistungen erbracht werden, vor allem durch Personalkosten bestimmt. 26 Hier gilt es, zwischen der gebotenen Sparsamkeit, der Verlässlichkeit als Arbeitgeber und den Erfordernissen des Umfeldes verantwortlich Besoldungen und Gehälter zu gestalten.
27 Bei den Sachkosten der Kirche macht die Bauunterhaltung einen großen Anteil aus. 28 Dabei steht vor allem auch die Unterhaltung vieler Kirchengebäude im Vordergrund, die zum Kulturgut unseres Volkes gehören. 29 Es ist daher nicht unangemessen, wenn die Kirche hier die Mitverantwortung der Gesellschaft einfordert. 30 Die Landeskirchen und die Gemeinden üben auch untereinander Solidarität, indem über einen Finanzausgleich in erheblichem Umfang Finanzen aus den stärkeren in die schwächeren Regionen gebracht werden.
31 Viele in der Kirche beruflich und ehrenamtlich Tätige beschäftigt die Problematik von Geld, Vermögen und wirtschaftlichem Handeln stark. 32 In Zeiten reichlich zuströmender Mittel wird gefragt, welche neu entdeckten Arbeitsfelder der Kirche gefördert werden sollen. 33 Sind die Mittel knapp, so kommt es zu einer alle Beteiligten belastenden Prioritätendiskussion.
34 Die Verwaltung des kirchlichen Vermögens erfolgt durch ausgebildete Fachleute auf der Grundlage der Entscheidungen von Synoden, Kirchenleitungen und Gemeindekirchenräten (Presbyterien).
II. Biblisch-theologische Orientierung
Die Aussagen zu Geld, Vermögen und wirtschaftlichem Handeln im Alten und Neuen Testament sind außerordentlich vielschichtig und vielfarbig. Das Alte Testament bezeugt breit die für Israel charakteristische soziale Verantwortung und Verpflichtung des Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes. Dazu gehört insbesondere die Sorge für die Armen. Seit der Entstehung der christlichen Kirche gibt es dieser Tradition entsprechend einen vom Glauben her bestimmten Umgang mit Geld und Besitz.
Nach der Apostelgeschichte gab es in der Jerusalemer Urgemeinde einen gemeinsamen Besitz (Apg 2,44 f.; 4,32–35). Die Erzählung vom Schicksal des Ananias und seiner Frau Saphira (Apg 5,1–11) lässt allerdings auch erkennen, dass die Gemeindeglieder nicht dazu verpflichtet waren, auf jegliches persönliche Eigentum zu verzichten. Von ihnen wurde jedoch erwartet, ehrliche Angaben über ihr Vermögen zu machen. Die Barnabas-Erzählung (Apg 4,36 f.) steht dafür als ein positives Beispiel.
Der Bericht über die Wahl der Sieben für den Dienst (diakonia) „bei den Tischen“ (Apg 6,1–7) zeigt, dass eine ordnungsgemäße Verwaltung und Verteilung der materiellen Mittel schon sehr früh als besondere Aufgabe angesehen wurde. 10 In diese Richtung weist auch ein Wort wie Lk 16,11: „Wenn ihr nun mit dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das wahre Gut anvertrauen?“. 11 Der Evangelist Lukas hat dieses Herrenwort mit dem bei Matthäus in der Bergpredigt überlieferten Wort Jesu verbunden: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Lk 16,13; Mt 6,24). 12 Lukas sieht, dass der Umgang mit Geld nicht nur Chancen eröffnet, sondern auch eine Versuchung, ja eine Gefährdung der Einzigkeit Gottes sein kann. 13 Zugleich aber informiert Lukas darüber, dass Jesus und die ihn Begleitenden finanzielle Unterstützung durch wohlhabende Frauen erhielten (Lk 8,1–3).
14 Der Apostel Paulus organisiert in seinen Gemeinden eine umfassende Kollekte für die Armen in der Jerusalemer Urgemeinde. 15 Er hat auf dem „Apostelkonzil“ (Gal 2,1–10) die Durchführung dieser Kollekte zugesagt und erwähnt sie in der Mehrzahl seiner Briefe (vgl. 1. Kor 16,1–4; Röm 15,26–28). 16 Die Jerusalemkollekte ist kein „Almosen“ im eher abschätzigen Sinne des Wortes (2. Kor 8 und 9). 17 Paulus versteht sie vielmehr als ein konkretes Zeichen für den Zusammenhalt der Einzelnen, nicht nur räumlich sehr weit voneinander entfernten, sondern auch in ihren Glaubensüberzeugungen durchaus unterschiedlichen Gemeinden in der einen Kirche. 18 Das Ziel der Kollekte ist die Herstellung von „Gleichheit“, also eine Art von Finanzausgleich zwischen den Gemeinden als Verwirklichung von Kirchengemeinschaft (2. Kor 8,13–15). 19 Die materielle Gabe für die Armen in Jerusalem ist jedoch nicht nur ein Beitrag zur Beseitigung des konkreten Mangels. 20 Sie ist zugleich auch ein Anlass für die Christen in Jerusalem, Gott zu danken und für diesen treuen Dienst zu preisen (2. Kor 9,12 f.). 21 Die Ausführungen des Paulus zur konkreten Organisation der Kollektensammlung zeigen ebenfalls, dass der Zuverlässigkeit im Umgang mit anvertrautem Geld ein hoher Rang zukommt (2. Kor 8,20 f.).
22 Das Gebot der Zuverlässigkeit in Geldangelegenheiten klingt im Neuen Testament immer wieder an. 23 Über die Zehn Gebote hinaus erinnert Jesus den „reichen Jüngling“ an die Weisung „du sollst niemanden berauben“ (Mk 10,19). 24 Damit dürfte gemeint sein, dass einem anderen das ihm Zustehende – insbesondere Lohn oder zurückzuerstattendes Geld – nicht vorenthalten werden soll.
25 Zu den Anforderungen an einen Gemeindeleiter (episkopos) gehört nach 1. Tim 3,1–7, dass er nicht geldgierig sein darf. 26 Offenbar hatten die Gemeindeleiter das Geld der Gemeinde zu verwalten. 27 So war es von erheblicher Bedeutung, dass sie den damit möglicherweise verbundenen Verlockungen nicht erliegen sollten.
28 Die Fürsorge für die Armen wird später geradezu ein Kennzeichen der Kirche. 29 Bisweilen gibt das für Außenstehende auch Anlass zum Spott, weil behauptet wird, die Gemeinden seien in dieser Hinsicht oft leichtgläubig. 30 Zugleich aber wird immer wieder auch hervorgehoben, dass Christen die ihnen anvertrauten Gelder (deposita) treu verwalten und nicht unterschlagen, wie es sonst nicht selten vorkam. 31 Ende des 2. Jahrhunderts wird der Kirchenbesitz als depositum pietatis – als „Darlehen der Frömmigkeit“ – bezeichnet, mit dem Bedürftige unterstützt werden. 32 Dabei wird kontrovers diskutiert, ob die Kirche das ihr anvertraute Geld nur treuhänderisch zu bewahren habe oder ob sie damit auch wirtschaftlich umgehen dürfe oder solle. 33 Schon das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Lk 19,11–27; Mt 25,14–30) lässt erkennen, dass Geldwirtschaft – also Zinsnehmen – nicht grundsätzlich verwerflich ist.
34 Nach der Barmer Theologischen Erklärung hat die Kirche „mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde“ zu bezeugen, dass sie allein Jesu Christi Eigentum ist (3. These). 35 Dies hat sie auch in ihrem Umgang mit Geld und Vermögen und mit ihrem wirtschaftlichen Handeln zu bewähren.
36 Die in der Gemeinde Verantwortlichen müssen deshalb darauf achten, dass das Vermögen dem Auftrag der Kirche untergeordnet bleibt. 37 Die Verteilung bzw. Ausgabe der kirchlichen Mittel geschieht immer nur treuhänderisch im Namen Jesu Christi. 38 Auch alle Finanzangelegenheiten haben eine geistliche Dimension.
39 Aber die kirchliche Vermögensverwaltung ist auch den Gesetzen der Ökonomie und den Mechanismen rechtlicher Regelungen unterworfen, die in einer säkularen Gesellschaft jeweils Gültigkeit haben. 40 Die Gemeinden können sich in ihrem wirtschaftlichen Handeln solchen Gesetzen und Mechanismen nicht entziehen und brauchen dies auch nicht zu tun. 41 Die Verantwortlichen müssen aber so sorgfältig und sachkundig wie möglich darauf achten, dass das Vermögen der Kirche nicht solchen Gesetzen und Mechanismen ausgeliefert wird, die zum Auftrag der Kirche im Widerspruch stehen.
42 Zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche bei ihrem Umgang mit Geld und Vermögen und bei ihrem wirtschaftlichen Handeln gehören Nachvollziehbarkeit, Information und Durchschaubarkeit bei Einnahmen und Ausgaben, die angemessene Prioritätensetzung und die Bereitschaft, das Handeln dem Auftrag der Verkündigung des Evangeliums unterzuordnen.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 97
Präambel

Geld und Vermögen der Kirche dienen dem kirchlichen Auftrag. Über ihr wirtschaftliches Handeln muss die Kirche Rechenschaft ablegen können. Die Kirche soll ihr wirtschaftliches Handeln verständlich machen und sich dessen bewusst sein, dass auch bei ihrem Umgang mit Geld und Vermögen Jesus Christus als Herr der Kirche erkennbar bleiben muss.
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Artikel 98
Treue und Glaubwürdigkeit

(1) Im Umgang mit ihrem Geld und sonstigen Vermögen sowie in ihrem wirtschaftlichen Handeln muss die Gemeinde um Treue und Glaubwürdigkeit bemüht sein.
(2) Was der Gemeinde anvertraut ist, hat dem kirchlichen Auftrag zu dienen.
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Artikel 99
Rechenschaft und Information

(1) Über die Verwaltung des Besitzes und das wirtschaftliche Handeln wird in den dafür zuständigen Gremien Rechenschaft abgelegt.
(2) Über Haushaltspläne und Jahresrechnungen der Gemeinde wird öffentlich informiert.
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Artikel 100
Zuwendungen

Bei der Entgegennahme von Zuwendungen ist zu prüfen, ob damit Zwecke verfolgt werden sollen oder daran Bedingungen geknüpft werden, die mit dem Auftrag der Kirche nicht zu vereinbaren sind. Solche Zuwendungen sind zurückzuweisen.
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Artikel 101
Vorbildlichkeit

Bei der Verwaltung ihres Geldes und Vermögens sowie in ihrem wirtschaftlichen Handeln soll die Gemeinde bedenken, dass von ihr Vorbildlichkeit erwartet wird.
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13.
Öffentlichkeitsarbeit

I. Wahrnehmung der Situation
Das Wirken der Kirche geschieht in der Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit. Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb ein wesentlicher Arbeitszweig der Gemeinde. Sowohl in den städtischen als auch in den ländlichen Gemeinden geschieht sie in vielfältigen Formen. Durch Gemeindebriefe, Schaukästen, Plakate, Gottesdiensthinweise an den Ortseinfahrten wird versucht, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Berichte und Hinweise in lokalen oder regionalen Tageszeitungen informieren über das Gemeindeleben und laden zu Veranstaltungen ein. Auch in Rundfunk und Fernsehen kann das kirchliche Leben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Eine wachsende Zahl von Gemeinden geht durch Mitwirkung bei Orts- beziehungsweise Stadtteilfesten und besonderen Marktveranstaltungen (zum Beispiel Weihnachtsmarkt) sowie durch eigene Straßenfeste oder Gestaltung kirchlicher Feste auf öffentlichen Plätzen (zum Beispiel Martinstag) mit der ihr anvertrauten Botschaft in die Öffentlichkeit. Gelegentlich werden Gemeinden von den Veranstaltern öffentlicher Feste um einen ökumenischen Eröffnungsgottesdienst gebeten.
Die meisten evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland geben einen Gemeindebrief heraus. 10 Der Gemeindebrief ist das wesentliche Informationsmedium für das Geschehen in der Gemeinde; er ist gleichsam ihre „Visitenkarte“ und erreicht auch Menschen, die nur wenig Kontakt zur evangelischen Kirche haben. 11 Gemeindebriefe werden überwiegend von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die Haushalte verteilt.
12 Die Gemeindebriefe werden oft von einem Redaktionskreis, in manchen Fällen aber noch allein von der Pfarrerin oder dem Pfarrer erstellt. 13 Die redaktionelle Praxis ist in den vergangenen Jahren durch den Einsatz von Computern stark verändert worden. 14 Mit Hilfe von Text- und Layout-Programmen ist es ohne großen Aufwand möglich, einen gut gestalteten Gemeindebrief zu produzieren. 15 Materialdienste unterstützen die Gestaltung der Gemeindebriefe. 16 Die Möglichkeiten des Internets entwickeln sich rasch und werden bereits von etlichen Gemeinden genutzt.
17 Eine besondere Form des öffentlichen Wirkens der Kirche ist die kirchliche Publizistik. 18 Sie richtet sich an Gemeinden und Öffentlichkeit. 19 Sie geschieht im Auftrag der Gemeinden und dient zugleich der Kommunikation zwischen den Gemeinden sowie den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 20 Kirchliche Presseverbände und -vereine geben in der Regel wöchentlich erscheinende Kirchenzeitungen heraus, betreiben aber auch Verlagsarbeit. 21 Die Kirchengebietsblätter erreichen als kirchliche Abonnementspresse heute vor allem kirchenverbundene Gemeindeglieder. 22 Ihre Stärke liegt in der Regionalität. 23 Außerdem dient die Kirchengebietspresse der aktuellen kircheninternen Kommunikation.
24 Das 1974 gegründete Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e. V. (GEP), dem alle Landeskirchen, kirchlichen Zusammenschlüsse und großen kirchlichen Werke angehören, verbindet und koordiniert die publizistischen Aktivitäten. 25 Es sorgt innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland für die professionelle Aus- und Weiterbildung im publizistischen Bereich. 26 Die gesamtkirchlichen Zusammenschlüsse sowie die meisten Landeskirchen und Diakonischen Werke haben eigene Presse- oder Informationsstellen eingerichtet beziehungsweise Pressebeauftragte eingesetzt.
II. Biblisch-theologische Orientierung
Öffentlichkeit gehört zum Wesen der Kirche und ist eine eigene Dimension kirchlichen Handelns. Entsprechend ihrem Auftrag und Anspruch ist die Kirche dafür verantwortlich, „dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim 2,4).Jesus selbst ist mit seinem Reden und Handeln in vielfältiger Weise in die Öffentlichkeit getreten. Die Apostelgeschichte lässt erkennen, dass die christliche Missionspredigt sowohl in Jerusalem als auch in anderen Städten des Römischen Reiches (zum Beispiel in Athen und Korinth) auf den Marktplätzen gehalten wurde. Die Erzählung von der Pfingstpredigt in Jerusalem (Apg 2,8–11) begründet, dass die Christusbotschaft nicht an eine bestimmte heilige Sprache gebunden ist, sondern von jedem Menschen in seiner Sprache gehört werden soll.
Christen bedienen sich seit jeher zeitgemäßer Kommunikationsmittel. Von der öffentlichen Predigt der Apostel und den Briefen des Paulus bis hin zu den Druckschriften der Reformation und der Öffentlichkeitsarbeit der Kirche heute bringen sie Gott ins Gespräch, weil Gott sich bei den Menschen ins Gespräch gebracht hat. Gott bleibt nicht im Verborgenen. Er ist nicht Gott an und für sich. 10 Er will Gott für alle Menschen sein. 11 Gottes Selbstoffenbarung will Öffentlichkeit. 12 Darum feiern die Christen ihren Gottesdienst nicht im Geheimen, sondern öffentlich. 13 Darum rufen sie in der Öffentlichkeit zum Glauben und bringen Gottes Willen in das öffentliche Gespräch ein.
14 Die Kirche bringt damit Gottes Zuspruch und Anspruch zur Geltung. 15 Zugleich nimmt sie als eine unter anderen gesellschaftlichen Gruppen an der vorhandenen Öffentlichkeit teil. 16 Wenn die Kirche wirksam zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit beitragen will, muss sie sich am öffentlichen Gespräch beteiligen.
17 Die Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis ein Ort der Kommunikation. 18 Auch in der medial geprägten Öffentlichkeit hat sie den Auftrag, „an Christi statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes … die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ (Barmer Theologische Erklärung, 6. These). 19 Sie kann dabei ihre jahrhundertealten Erfahrungen nutzen: Sie weiß, wie Sprache, Reden, Bilder und Symbole Kreativität wecken und Menschen trösten können – wie sie aber auch Macht ausüben und Menschlichkeit zerstören können. 20 Deswegen nimmt die Kirche an der gesellschaftlichen Öffentlichkeit teil, ohne in ihr aufzugehen. 21 Dabei muss sie gerade die im Blick haben, die „noch nicht glauben oder noch nicht Christen sind“. 22 Auf sie sollten alle öffentlichen Gottesdienste ausgerichtet sein (Martin Luther, „Öffentliche Reytzung zum Glauben“, 1526).
23 Die Ziele von Öffentlichkeitsarbeit sind allgemein: Distanz zur Institution überwinden, Vertrauen schaffen, Informationen über Ziele und Inhalte der Institution geben, über Ereignisse, Vorhaben und Personen berichten, Mitgliederbindung fördern, neue Mitglieder werben. 24 Auch kirchliche Öffentlichkeitsarbeit muss sich zunächst an diesen Zielen orientieren. 25 Die Bindung an das Evangelium ist für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit Voraussetzung und Verpflichtung. 26 Dabei ist offensives Handeln gefordert. 27 Die Kirche soll Themen aktiv bestimmen und klare Orientierungshilfen bei aktuellen Fragen geben.
28 Die Ziele der Publizistik, durch Information, Kommentar, Bildung und Beratung das Verstehen und die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu fördern, gelten auch für die Gemeinde. 29 Die Uppsala-Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1968 stellt fest: „Gleichzeitig haben die Kirchen selbst in ihrer Informationspolitik und -praxis die Verpflichtung, Informationen frei zugänglich zu machen. Außer in Bereichen, wie etwa der Beichte, sollten die Kirchen sich nicht scheuen, ihr eigenes Leben der öffentlichen Kritik auszusetzen.“
30 Es ist Auftrag der evangelischen Publizistik, die Kirche und ihre Gemeinden in der Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen und kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Gemeindegliedern eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen. 31 Es ist wichtig, dass die Redaktionen hierfür den notwendigen Ermessensspielraum und eigene Verantwortung haben. 32 Dazu darf die erforderliche journalistische Unabhängigkeit nicht nur inhaltlich gefordert werden, sondern sie muss auch strukturell und organisatorisch gewährleistet sein. 33 Da das publizistische Handeln der Kirche den in der Publizistik üblichen Vermittlungsformen entspricht, ergibt sich die Verpflichtung zur größtmöglichen Professionalität. 34 Daher ist es notwendig, dass die Aus- und Weiterbildung kirchlicher Journalisten sowie von Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit besondere Förderung erhalten.
35 Öffentlichkeitsarbeit und evangelische Publizistik sind in einer von Medien bestimmten Welt eine wesentliche Äußerungsform der Kirche. 36 Ihr Auftrag bezieht sich auf die Botschaft wie auf die Folgen des Glaubens. 37 Sie tragen dazu bei, dass die Botschaft und die Lebensäußerungen der Kirche von allen Menschen wahrgenommen werden können. 38 Sie ermöglichen die Beteiligung der Kirche am öffentlichen Gespräch.
III. Richtlinien und Regelungen
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Artikel 102
Präambel

Öffentlichkeitsarbeit und evangelische Publizistik gehören zu den Lebensäußerungen der Kirche. Sie verhelfen den Gliedern der Kirche zum Verständnis wichtiger Vorgänge und machen das Zeugnis und den Dienst der Kirche in der Öffentlichkeit bekannt.
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Artikel 103
Öffentlichkeit im Alltag

(1) Die Kirche lebt und handelt in der Öffentlichkeit. Ihre Mitglieder, insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen bedenken, dass ihre persönliche Glaubwürdigkeit und die Art ihres Auftretens das Erscheinungsbild der Kirche prägen.
(2) Durch Mitwirkung bei Orts- und Stadtteilfesten und gelegentliche Durchführung eigener Straßenfeste können Gemeinden in die Öffentlichkeit ihres örtlichen Umfeldes treten. Die Pflege geistlich bestimmten Brauchtums ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit. Bei solchen Bemühungen um die Öffentlichkeit ist die Zusammenarbeit mit den anderen christlichen Gemeinden am Ort zu suchen.
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Artikel 104
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden und Kirchenkreise

(1) Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden und Kirchenkreise hat das Ziel, das kirchliche Leben der lokalen und regionalen Öffentlichkeit bekannt zu machen, über aktuelle Ereignisse zu informieren und Impulse des öffentlichen Lebens in den kirchlichen Raum hineinzutragen. Dazu gehört auch die Aufgabe, um Vertrauen zu werben, zur Teilnahme am kirchlichen Leben zu motivieren, zur Diskussion anzuregen und die Positionen der Kirche überzeugend zu formulieren.
(2) Gemeinden sollen Arbeitsgruppen oder Beauftragte für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit berufen, die regelmäßig über die Arbeit der Gemeinde berichten und dem Gemeindekirchenrat (Presbyterium) zur Beratung bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stehen.
(3) In allen Kirchenkreisen sollen Ausschüsse oder Beauftragte für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden, die regelmäßig über die Arbeit im Kirchenkreis berichten und in den Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit konsultiert werden.
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Artikel 105
Gemeindebrief

(1) Die Aufgabe des Gemeindebriefes ist es, Informationen aus der Gemeinde allen Mitgliedern und den im Umfeld der Gemeinde lebenden Menschen zu vermitteln.
(2) Möglichst jede Gemeinde soll einen Gemeindebrief als wesentliches Informationsmedium herausgeben. Es ist auch möglich, für mehrere Gemeinden zusammen auf regionaler Ebene einen Gemeindebrief herauszugeben.
(3) Den Gemeindebrief sollte ein Redaktionskreis gestalten. Die Herausgeberschaft soll vom Gemeindekirchenrat (Presbyterium) wahrgenommen werden.
(4) Der Gemeindebrief soll möglichst an alle Gemeindeglieder verteilt werden.
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Artikel 106
Kunst als Teil des öffentlichen Wirkens der Kirche

(1) Die Kirchenmusik stellt eine wichtige Form des öffentlichen Wirkens der Kirche dar. Kirchenchöre und Kirchenmusiker sollen durch die Leitung ihrer Gemeinde unterstützt werden.
(2) Künstlerische Aktivitäten, Ausstellungen von Werken bildender Kunst oder Dokumentationen zu aktuellen Themen sind weitere Möglichkeiten kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit, die gefördert zu werden verdienen.
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Artikel 107
Gemeinde und evangelische Publizistik

(1) Die Gemeinde soll die evangelische Publizistik bei ihrer Aufgabe unterstützen, kirchliches Handeln durchschaubar zu machen und Raum für verschiedene Meinungen zu geben. Dafür ist es erforderlich, Informationen über Veranstaltungen, Leben und Probleme der Gemeinde rechtzeitig weiterzuleiten.
(2) Die Gemeinde unterstützt die evangelische Publizistik auch durch Abonnierung und Verbreitung der Produkte kirchlicher Presse, durch kritische Hinweise und eigene Beiträge.
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Artikel 108
Kirche und allgemeine Publizistik

Die Kirche ist auf Grund ihres Auftrags von der Ebene der Gemeinden bis zur Ebene der Leitungsgremien verpflichtet, wahr, rechtzeitig und umfassend zu informieren. Dies gilt vom Umgang mit regionalen Tageszeitungen bis zur Zusammenarbeit im Bereich der elektronischen Medien.

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Kirchengesetz über die Einführung der Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg vom 19. November 1999 (KABl.-EKiBB S. 199).Die Landessynode hat das folgende Kirchengesetz beschlossen:§ 1(1) Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg stimmt dem Kirchengesetz über die Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union vom 5. Juni 1999 zu.(2) Das Kirchengesetz ist für die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg zum 1. Januar 2000 in Kraft zu setzen.§ 2(1) Dieses Kirchengesetz tritt mit der Beschlussfassung in Kraft.(2) Mit der Inkraftsetzung des Kirchengesetzes über die Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union nach § 1 Abs. 2 tritt die Ordnung des kirchlichen Lebens in der von der Synode der Evangelischen Kirche der Union am 5. Juni 1999 beschlossenen Fassung an die Stelle der Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union vom 6. Mai 1955. Zum selben Zeitpunkt treten außer Kraft:
  1. die Taufordnung vom 18. November 1984 (KABl.-EKiBB 1985 S. 34),
  2. die Rahmenordnung für den Konfirmandenunterricht vom 20. Mai 1984 (KABl.-EKiBB S. 90).