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Geltungszeitraum von: 18.04.1997

Geltungszeitraum bis: 31.12.2008

Leitlinien zur Praxis der Visitation

Vom 18. April 1997

(KABl. S. 117)

Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg steht vor großen Herausforderungen. Die Vereinigung der getrennten Kirchengebiete und die staatliche Vereinigung haben dazu geführt, dass nichts so blieb, wie es war. Große Anstrengungen waren und sind weiterhin notwendig, um auch im Wandel überzeugend evangelische Kirche zu bleiben. Unsere Kirche ist bisher noch so stark damit beschäftigt, sich selbst auf die veränderten äußeren Bedingungen einzustellen, dass der Wille zu Neuansätzen des kirchlichen Dienstes, gegebenenfalls auch gegen vorherrschende gesellschaftliche Tendenzen, nur in ersten Ansätzen zu erkennen ist. Ihn zu wecken und zu stärken ist die entscheidende Aufgabe, um die es in der Neuorientierung der Kirche geht.
Visitationen sind eine besondere Form kirchlichen Besuchs- und Leitungsdienstes, der in dem der Gemeinde nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift gegebenen Auftrag begründet ist, einander zu besuchen, zu trösten, zu mahnen und zu weisen. Die Superintendentinnen und Superintendenten, die Generalsuperintendenten und der Bischof tragen lt. Grundordnung (Art. 57,4 und 88,2.3) eine besondere Verantwortung für die Durchführung von Visitationsdiensten in den Gemeinden und Kirchenkreisen, in den Sprengeln und in den landeskirchlichen Einrichtungen. Um das visitatorische Handeln in unserer Landeskirche zu aktivieren und als ein wirksames Mittel zur Begleitung der notwendigen Umgestaltungsprozesse besser zur Geltung zu bringen, ist eine sachgerechte und aufgabenorientierte Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Visitationen notwendig.
Die Leitlinien zur Praxis der Visitation setzen nicht die Visitationsordnungen außer Kraft, die von der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg am 7. April. 1975 und von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West) am 22. September 1981 verabschiedet wurden. Bis zur Entwicklung einer gemeinsamen, erneuerten Visitationsordnung sollen diese Leitlinien eine Ergänzung zu den vorhandenen Regelungen darstellen, um insbesondere dabei zu helfen, praktikable Formen der Durchführung von Visitationen zu entwickeln.
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1.
Notwendigkeit und Zweck von Visitationen

Visitationen und visitatorisches Handeln sind Instrumente kirchenleitenden Handelns. Visitationen sind die von einer dazu beauftragten Kommission nach einem vorher verabredeten Plan und auf der Grundlage schriftlich vorliegender Berichte durchgeführten Besuche in Gemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Einrichtungen. Visitatorisches Handeln vollzieht sich darüber hinaus in den unterschiedlichen Formen in der unmittelbaren Verantwortung derer, die durch die Grundordnung mit dem Visitationsdienst beauftragt sind. Die Chance der Visitation oder des visitatorischen Handelns liegt darin, den visitierten Arbeitsbereich aus einer Perspektive der Außenwahrnehmung in den Blick zu bekommen. Im geschwisterlichen Gespräch mit denjenigen Gemeindegliedern und kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die den entsprechenden Arbeitsbereich gestalten und die geleistete Arbeit verantworten, können auf diese Weise gewohnte und vielleicht festgefahrene Seh- und Verhaltensweisen aufgebrochen werden. Probleme in den Gemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Einrichtungen können mit größerer sachlicher Genauigkeit benannt, die eigene Arbeit kann besser eingeschätzt und Perspektiven zur Problemlösung können aufgezeigt werden. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Visitation ist der gemeinsame Wille, vorhandene Probleme wahrzunehmen und sich um Ansätze zu ihrer Lösung zu bemühen.
Folgende Gesichtspunkte sind bei aller Vielfalt und Verschiedenheit der Bereiche, die Gegenstand einer Visitation werden können, in besonderer Weise zu berücksichtigen:
  1. Eine Visitation soll den direkten Kontakt und einen unmittelbaren Dialog zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Arbeitsbereich und den Mitgliedern einer Visitationskommission herstellen. Die Bereitschaft, einander Zeit zu gewähren, um sich wechselseitig zuzuhören und anstehende Probleme mit der notwendigen Gründlichkeit zu beraten, ist eine grundlegende Voraussetzung der Visitation.
  2. Die Erfordernisse des täglichen Dienstes und die Binnenperspektive, aus der heraus Wertungen über die Erfordernisse im eigenen Bereich, aber auch darüber hinaus bis zum Handeln der Kirchenleitung und des Konsistoriums vorgenommen werden, führen zu kontroversen Anschauungen und Einschätzungen. Eine Visitation soll solche Kontroversen zur Sprache bringen und die jeweiligen Argumente austauschen.
  3. Die Gespräche über die Fragen des Dienstes haben im Rahmen einer Visitation auch dienstaufsichtlichen Charakter.
  4. Die Einschätzung, dass in unserer Kirche tief greifende strukturelle Veränderungen notwendig und unvermeidlich sind, wird von einer großen Mehrheit geteilt. Dass von diesen Veränderungen kein Bereich unbetroffen bleiben kann, verstehen viele. Dennoch haben bereits vollzogene schmerzliche Einschnitte bei den verfügbaren finanziellen Zuweisungen in manchen Gemeinden, Kirchenkreisen und kirchlichen Einrichtungen dazu geführt, einem besitzstandswahrenden Denken mehr Raum zu geben als der Sorge um den Fortbestand der Einheit der Kirche. Die Zukunft unserer Kirche ist jedoch in hohem Maße von der Wahrung des Prinzips der Solidarität und der geschwisterlichen wechselseitigen Hilfe abhängig. Visitationen sollen in besonderer Weise als ein Dienst an der Einheit unserer Kirche verstanden werden.
  5. Zu den Merkmalen kirchlichen Lebens gehören Verlässlichkeit und Kontinuität. Mit diesem hohen Gut verbindet sich zuweilen ein Zögern gegenüber Veränderungen, die das kirchliche Leben bereichern und Zeugnis und Dienst der Kirche fördern können. Visitationen sollen zu solchen Veränderungen ermutigen und dabei Erfahrungen aus anderen Bereichen weitervermitteln.
  6. Bei der Planung und Durchführung von Visitationen ist die Pflicht zur Ergebnissicherung und zur Umsetzung der Ergebnisse besonders zu beachten.
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2.
Visitationsebenen

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a)
Gemeindevisitationen

Es soll eine Planung der Visitationsvorhaben erfolgen (vgl. § 1 Abs. 1 der Visitationsordnung Ost). Diese Planung soll möglichst bald nach der Veröffentlichung dieser Leitlinien erfolgen. In Zukunft soll sie regelmäßig im Zusammenhang mit der Neuzusammensetzung und Konstituierung der Kreiskirchenräte vorgenommen werden. Die Ephorenkonvente in den Sprengeln werden gebeten, entsprechende Planungsüberlegungen anzustellen.
Neben den klassischen Gemeindevisitationen sollte die frühere Westberliner Tradition der regionalen oder der Arbeitsfeldorganisationen erneut stärker zur Geltung kommen (vgl. III, B, 5 der Visitationsordnung West).
Der Bischof, der Propst, die Generalsuperintendenten und die jeweiligen Ortsdezernenten sollen über die in den Kirchenkreisen entwickelten Visitationskonzepte und -pläne informiert werden.
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b)
Generalkirchenvisitationen

Innerhalb eines Zehnjahreszeitraums sollen die Kirchenkreise eines Sprengels visitiert werden. Soweit möglich soll die Planung zu Beginn der Amtszeit einer Generalsuperintendentin/eines Generalsuperintendenten begonnen werden. Der Generalsuperintendentkonvent wird gebeten, entsprechende Planungsüberlegungen anzustellen.
Kirchenleitung und Konsistorium sollen über die jeweiligen Visitationspläne informiert werden.
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c)
Visitationen der kirchlichen Einrichtungen und Beauftragten

In jedem Jahr findet mindestens eine vom Bischof verantwortete Visitation einer kirchlichen Einrichtung oder eines bzw. einer kirchlichen Beauftragten statt. Die Festlegung erfolgt in Abstimmung mit dem zuständigen Abteilungsleiter bzw. der zuständigen Abteilungsleiterin im Konsistorium. Bischof und Generalsuperintendenten können wechselseitig an den Visitationen der Kirchenkreise bzw. den landeskirchlichen Einrichtungen und Beauftragten teilnehmen.
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d)
Besondere Aufgaben im Bereich des visitatorischen Handelns

Von Visitationen im förmlichen Sinn ist visitatorisches Handeln in unterschiedlicher Gestalt zu unterscheiden. Zu ihm zählen unter anderem die regelmäßig stattfindenden Besuche der Kirchenleitung in einzelnen Kirchenkreisen. Jeweils nach sieben Jahren (zumindest nach zehn Jahren gemäß § 72 Pfarrdienstgesetz) führt der Generalsuperintendent oder die Generalsuperintendentin ein Gespräch mit dem Pfarrstelleninhaber oder der Pfarrstelleninhaberin über Fragen des Dienstes durch. Der Gemeindekirchenrat wird einbezogen. Diese Absicht soll mitgeteilt werden.
Visitatorisches Handeln erhält besonderes Gewicht im Bereich der theologischen und der seelsorgerlichen Weiterbildung, die als Verpflichtung erkennbar werden muss.
Die Frage der Weiterbildung ist deshalb ein Bestandteil der Siebenjahresgespräche.
Eine Einberufung zu Weiterbildungsveranstaltungen kann durch die Superintendentinnen und Superintendenten, die Generalsuperintendenten bzw. durch den Bischof erfolgen.
Die Superintendentinnen und Superintendenten, die Generalsuperintendenten und der Bischof sollen sich selbst an der theologischen und seelsorgerlichen Fort- und Weiterbildung beteiligen. 10 Das schließt Zeiten eigener Weiterbildung ein. 11 Eine enge Verbindung mit dem Pastoralkolleg ist anzustreben.
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3.
Häufigkeit und Dauer

Angestrebt wird, dass innerhalb einer Amtsperiode (zehn Jahre) jeder Kirchenkreis einmal visitiert wird; gleiches gilt für den Bereich der kirchlichen Einrichtungen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn auch in diesen Bereichen Schwerpunktsetzungen erfolgen, um den Aufwand bei den Vorbereitungen, bei der Durchführung und bei den Nacharbeiten einer Visitation auf ein überschaubares Maß zu reduzieren.
Eine Visitation sollte in der Regel nicht länger als eine Woche dauern.
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4.
Die Visitationskommission

Bei der Auswahl, der Zusammensetzung und der zahlenmäßigen Stärke der Visitationskommission sollte das Kriterium der Praktikabilität Anwendung finden. In der Regel sollen der Visitationskommission nicht mehr als fünf Mitglieder angehören. Weitere Teilnehmer können je nach Bedarf und entsprechend dem speziellen Aufgabengebiet hinzugezogen werden. Bei Visitationen der kirchlichen Einrichtungen hat sich ein Auswahlkriterium bei der Suche nach geeigneten Mitgliedern für die Visitationskommission als zweckdienlich erwiesen, das aus folgenden Bereichen Menschen zur Mitarbeit benennt: 1. Kirchenleitung/Synode, 2. Dienst- und Fachaufsicht im Konsistorium, 3. externe Fachkundige. Für Gemeindevisitationen und für Generalkirchenvisitationen soll eine vergleichbare Zusammensetzung der Kommission gefunden werden (vgl. dazu die Bestimmungen in den Visitationsordnungen). Der Anteil an Mitgliedern, die nicht als hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind, sollte circa 50 % betragen.
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5.
Visitationsbericht/Visitationsbescheid

Der Visitationsbericht soll nicht in der Form eines Verlaufsberichtes abgefasst werden, sondern vorrangig problemorientierten Charakter tragen und thematisch gegliedert sein.
Der Visitationsbescheid benennt die Aufgaben, die sich nach dem Ergebnis der Visitation als vordringlich erwiesen haben.
Grundsätzlich gilt: Dasjenige Gremium, das den Visitationsbescheid erteilt, nimmt vorher den Visitationsbericht zur Kenntnis. Bei Generalkirchenvisitationen erhält außerdem die zuständige Abteilung des Konsistoriums den Bericht, sofern sie nicht unmittelbar an der Visitation beteiligt war.
Bei Gemeindevisitationen wird der Visitationsbescheid vom Kreiskirchenrat verabschiedet (vgl. Visitationsordnung Ost § 3 Abs. 5). Dem Konsistorium wird die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
Bei Generalkirchenvisitationen erteilt die Visitationskommission den Bescheid. Der Generalsuperintendent berichtet über die Ergebnisse der Visitation der Kirchenleitung. Das Konsistorium erhält den Visitationsbescheid zur Kenntnisnahme.
10 Den Bescheid über eine Visitation im Bereich der kirchlichen Einrichtungen erteilt die Kirchenleitung. 11 Der Bischof berichtet in der Kirchenleitung zuvor über die Visitation. Ggf. wird der Bericht dem Konsistorium und der Kirchenleitung in schriftlicher Form zur Kenntnis gegeben.